Terunobu Fujimori lässt surreale Teehäuser auf Bäumen wachsen. Der japanische Architekt baut poetische Orte der zeremoniellen Begegnung in Astgabeln und auf Baumstämmen. Nun lädt der 73-Jährige die Anhänger naturnaher moderner Architektur zum Tee in die Raketenstation Hombroich.
Der gewundene Pfad durchs Kieferndickicht, den vereinzelte Steinplatten zieren, endet auf einer kleinen Lichtung. Ein Blick nach oben, und da ist es, pechschwarz und in drei Metern Höhe auf Robinienstelzen ruhend: das jüngste Teehaus des japanischen Architekten Terunobu Fujimori, entworfen für die Raketenstation Hombroich, das erste permanente seiner Art in Europa. 19 Stufen einer schmalen verzinkten Treppe führen hinauf in das Baumhaus mit der karbonisierten Fassade. „Die traditionelle Methode, bei der die Holzbretter mit einer Stichflamme in wenigen Minuten geschwärzt werden, heißt Yakisugi und ist typisch für Fujimoris Arbeiten“, erklärt Frank Boehm, der Kurator des Projekts und der dazugehörigen Ausstellung. „Sie schützt vor Witterungseinflüssen und vor Insekten.“ Im Oval des Innenraumes sind die Wände mit Eichenholz verkleidet. Jegliche Geometrie ist hier aufgebrochen, durch einen Trompe–l’Œil-Effekt wirkt das Dach nach innen gewölbt. Traditionell sind japanische Teehäuser mit Tatami-Bodenmatten bestückt, doch hier sitzen die Besucher auf einer organisch geformten Bank im Halbrund. Vor ihnen: die im Tisch eingelassene Feuerstelle für die Teezubereitung. Wie immer bei Fujimori kommen bevorzugt Naturmaterialien zum Einsatz. Alles wirkt wie in Handarbeit gefertigt. Wabi-Sabi, die Schönheit des Unregelmäßigen, ist ein Gestaltungsprinzip des Baumeisters. Nach Süden öffnet sich ein nierenförmiges Schiebefenster mit bleigefassten, handgefertigten Glasscheiben. Es gibt den Blick frei auf drei große Kiefern und die dahinterliegende niederrheinische Landschaft.
„Bei der Gestaltung von Teehaus-Architektur ist es notwendig, eine unabhängige Welt zu schaffen, die vom täglichen Leben getrennt ist. Der Schlüssel dazu ist, etwas über dem Boden schweben zu lassen“, sagt Terunobu Fujimori. Wie die traditionellen japanischen Teehäuser dienen seine Bauten der Kontemplation und der kultivierten Begegnung, dennoch unterwandert Fujimori mit seinen Entwürfen jeden architektonischen Wertekanon. Gerade Linien und schlüssige Geometrien sucht man bei ihm vergebens. Stattdessen zeichnet er mit Blei- und Buntstiften surreale, fantastische Gebäude, die einem Anime-Film, einem Hieronymus-Bosch-Gemälde oder auch einem gallischen Dorf entnommen sein könnten. Urige Hütten, die waghalsig in Astgabeln oder auf hohen Stelzen thronen. Fast scheint es, als erfülle sich der Freigeist mit den eskapistischen Tee-Baumhäusern seine Kindheitsträume.
Dabei trat Fujimori, der einer der bedeutendsten Architekturhistoriker seines Landes ist, erst ab 1990 als Architekt in Aktion. In den letzten drei Dekaden realisierte der er jährlich ein bis zwei Bauten, darunter zahlreiche Teeräume und Teehäuser. Doch diese Räume gehen meist auf private Auftraggeber zurück, so auch sein erstes Teehaus Ishiya-tei (Haus für eine Nacht) für den ehemaligen japanischen Premierminister Morihiro Hosokawa. „Nach dessen Fertigstellung wollte ich mich zum ersten Mal nicht von einem Haus trennen“, erinnert sich Fujimori an das Erwachen seiner Leidenschaft. So entstanden in der Folge auf seinem eigenen Grundstück in Chino in der Präfektur Nagano sein Teehaus Takasugi-an (Zu hohes Haus) und das Hikusugi-an (Zu niedriges Haus) sowie das Soratobu dorobune (Fliegendes Schlammboot).
Heute gibt es weltweit rund ein Dutzend permanente Teehäuser, und keines gleicht dem anderen. Ihre Tradition aber verbindet sie. „Teehäuser galten ihrer ausgeprägten Persönlichkeit wegen immer als dem Menschen ähnlich. Deshalb tragen sie Namen wie Menschen“, liefert Fujimori einen Beweis für seinen feinsinnigen Humor. Das Teehaus auf der Insel Hombroich taufte er das ‚Ein Stein Haus‘. Zum einen hat der einzelne Stein im Zen-Buddhismus eine besondere Bedeutung, er ist die Insel, um die das Wasser tost, strahlt Ruhe und Harmonie aus. Zum anderen sei sein erstes permanentes Teehaus in Deutschland eine Hommage an den großen deutschen Physiker gleichen Namens, Einstein. Ab dem 4. September 2020 lässt sich hier, bei einem Matcha-Tee über den Dingen schwebend, wie losgelöst von Gravitation, Raum und Zeit, das eigene Weltbild überdenken.
Im Teehaus, sagt Terunobu Fujimori, gibt es keine Standesunterschiede. Das gilt in Japan schon seit Jahrtausenden. Ob Samurai, Kaufmann oder Bauer – im Teehaus saßen alle an einem Tisch, und alle wurden gleichbehandelt. Dieser Gedanke gefällt Fujimori. Doch er möchte noch mehr. Die Menschen nicht nur einander, sondern auch der Natur näherbringen. Dies ist ihm mit seiner festverwurzelten Leichtigkeit in Hombroich ein weiteres Mal gelungen.
Die zugehörige Ausstellung endet am 29. November 2020.
Wallpaper* Online, September 2020