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Licht für die Welt

Art & Culture / Interview

Der längste Sonnenuntergang der Welt – er dauerte ganze sechs Monate. Über zwei Millionen Menschen waren Zeugen, als Olafur Eliasson in der Londoner Gallery of Modern Art die Naturgesetze aushebelte. Seine Installation ‚The Weather Project‘, eine massive untergehende Sonne in der Turbinenhalle der Galerie, gilt als eine der erfolgreichsten Ausstellungen der Gegenwart.

Wie schnell hingegen die Sonne in der Nähe des ostafrikanischen Äquators untergeht, das verblüffte den Künstler. In Äthiopien wurde dem Dänen mit isländischen Wurzeln auch bewusst, wie viele Menschen keinen Zugang zum Stromnetz haben und was das für ihr Leben bedeutet – die Geburtsstunde des Projekts ‚Little Sun‘.

Dank vieler spektakulärer künstlerischer Großprojekte ist Eliasson weltweit bekannt, doch der Erfolg ist dem 52-Jährigen – runde Brille, grau gesträhnte Mähne, Siebentagebart – nicht zu Kopf gestiegen. Nur ungern stellt er seine Person in den Vordergrund, viel lieber spricht er über wissenschaftliche, soziologische oder gesellschaftliche Themen. Oder eben über seine Projekte. Beim Thema ‚Little Sun‘ sprudelt er los und gerät in einen Redefluss, der nicht so schnell versiegen will. In perfektem Deutsch mit charmantem dänischen Akzent erzählt der teils in Berlin lebende Eliasson, warum er sich in sozialer Verantwortung sieht, weshalb er auf Crowdfunding setzt und was er sich von der Solarenergie erwartet – als Künstler und als Mensch.

Sie haben das Projekt ‚Little Sun‘ 2012 nach einer Reise durch Ostafrika ins Leben gerufen.
Ich war in Äthiopien und habe miterlebt, wie die Menschen zum Abendessen im Schein von Petroleumlampen auf dem Boden saßen. Das wirkte auf den ersten Blick sehr gemütlich, aber die Decken der Hütten waren schwarz vor Ruß. Am nächsten Tag brannten meine Augen. Das benutzte Lampenöl ist sehr gesundheitsschädlich – abgesehen davon, dass es, anders als Sonnenenergie, ja auch bezahlt werden muss. Stellen Sie sich vor: Die Kinder dort sitzen jeden Abend neben diesen Lampen, um zu lesen oder ihre Hausaufgaben zu machen. Kurz nach meiner Rückkehr traf ich meinen Freund Frederik Ottesen, einen Solaringenieur. Licht und Sonne haben mich im Rahmen meiner künstlerischen Arbeit schon immer interessiert, und so entwickelten wir gemeinsam die Idee für ‚Little Sun‘.

Von Ihnen als Künstler würde man erwarten, dass Sie Ihre Erfahrungen in Kunstwerke einfließen lassen, statt eine Firma zu gründen.
Ich habe einige Erlebnisse meines Aufenthalts in Ostafrika auch in meiner Kunst verarbeitet. Als Künstler bewegt man sich jedoch manchmal in einer Blase. Die Kunstwelt – so gesellschaftlich akzeptiert und anspruchsvoll sie auch ist – lebt von Utopien und ist mitunter sehr realitätsfern. Letztlich betrachte ich ‚Little Sun‘ aber als Kunst, das verleiht dem Projekt ein gewisses nichtquantifizierbares Erfolgskriterium.

Würden Sie das Kunstprojekt ‚Little Sun‘ denn gleichzeitig als Entwicklungshilfe bezeichnen?
Ich bin Künstler, daher ist alles, was ich mache, Kunst. Bei Entwicklungshilfe denkt man oft an die Aktivitäten aus den 1980ern und 1990er Jahren. In diesem Zusammenhang sehen wir uns weniger. Wir arbeiten mit lokalen Händlern und NGOs zusammen und wollen parallel die regionalen Wirtschaftssysteme fördern. Dieser Teil von ‚Little Sun‘ ist sehr wichtig, denn er unterstützt den Wohlstand und als Folge davon auch die Demokratisierung in den jeweiligen Ländern.

‚Little Sun‘ sieht aus wie ein Kinderspielzeug – welche Absicht steckt hinter dem Design?
Ich wollte ein Produkt entwerfen, das eine positive, kraftvolle Ausstrahlung hat. Zudem sollte das Design sowohl in der nördlichen als auch in der südlichen Hemisphäre den Geschmack treffen und insbesondere Kinder und Frauen ansprechen. Kleine Mädchen haben in Afrika schlechteren Zugang zu Schulbildung. Sie zu fördern ist uns ein besonderes Anliegen. Und für die Frauen dort ist ‚Little Sun‘ ist ein Symbol für Stärke. Sie tragen die Lampe tagsüber um den Hals, wie ein Schmuckstück. Die kleine Sonne sagt: „Sieh her: Ich habe Zugang zur Stromversorgung, ich habe Power!“ Auch der Spielzeugcharakter ist gewünscht: Meine Kunst lebt von der Interaktion. Mit der Lampe kann man wunderbare Schattenspiele veranstalten. Das Design ist übrigens inspiriert von der äthiopischen Meskelblume, die dort ein nationales Symbol für Positivität und Schönheit ist.

Licht spielt generell eine große Rolle in Ihrer Kunst.
Für mich ist Licht ein Mittel, um Unsichtbares sichtbar zu machen. Das ist ja auch ein Grundprinzip meiner künstlerischen Arbeit. Licht wirkt nicht einengend oder restriktiv, sondern erweitert das Blickfeld und somit den Horizont. Und es hilft den Menschen, sich selbst zu zeigen und darzustellen. Somit hat es auch ein erzählerisches Moment.

Ihre Kunstprojekte zeugen oft von finanzieller Risikobereitschaft. Sind Sie bei ‚Little Sun‘ auch ein Risiko eingegangen? Für die Finanzierung des Solar-Ladegeräts haben Sie mit Kickstarter und mit Crowdfunding gearbeitet. Warum?
Bis jetzt trägt sich ‚Little Sun‘ noch nicht, und alle Einnahmen werden reinvestiert. Von Zeit zu Zeit müssen wir Geld zuschießen. Beim Crowdfunding des Ladegeräts ging es darum, die Produktion vorzufinanzieren und so gemeinschaftlich mit Freunden und Unterstützern das Projekt voranzutreiben und sicherzustellen, dass möglichst viele Menschen mit Solarenergie versorgt werden können.

Ihre Kunst hat eine große gesellschaftliche Relevanz und stellt vielfach den Menschen in den Mittelpunkt. Nicht nur, weil Sie Kunst in die Gemeinschaft bringen. Als Teil Ihrer Installationen werden Menschen Akteure im künstlerischen Prozess. Sie sagen: „Zu handeln bedeutet auch, Verantwortung zu übernehmen.“ So wie Sie es im Fall von ‚Little Sun‘ tun?
Ich bin in der nördlichen Hemisphäre aufgewachsen und glaube an die Macht des Individuums, aber auch die Kraft der Gemeinschaft. Verantwortung für die Gesellschaft bedeutet für mich, Diversität zu unterstützen und unterschiedliche Lebensweisen zuzulassen. So wie ich die Betrachter in meine Kunstwerke miteinbeziehe, sollten sich Menschen aller Kulturen gegenseitig miteinbeziehen. Je mehr sie ein Teil des großen Ganzen werden, desto stärker übernehmen sie auch Verantwortung.

Sie stellen existentielle Fragen: Macht es einen Unterschied, ob ich auf der Welt bin oder nicht? Welche Spuren hinterlasse ich? Ihre spektakulären Kunstwerke sind unübersehbare Dokumente Ihrer Existenz. Ist ‚Little Sun‘ ein Versuch, Ihre Selbstwirksamkeit auf anderem Gebiet auszuloten?
Wenn Sie so wollen, ja. Aber mir geht es da am wenigsten um meine Person. Ich habe die Macht und die Möglichkeiten, etwas zu bewirken, das Leben von Menschen zu verbessern. Und diese Möglichkeiten nutze ich. In Deutschland ist eine Kilowattstunde Strom vergleichsweise günstig. In den Gegenden von Afrika, die weit entfernt von der Stromversorgung sind, ist elektrische Energie ein unbezahlbarer Luxus. Die Sonnenenergie macht die Menschen dort unabhängiger, zudem ist sie absolut sauber. Das ist doch ein gewaltiger Unterschied: auf der einen Seite das schmutzige Braunkohlekraftwerk, das die Energie liefert. Und auf der anderen Seite die Solarzelle. Mit ihr in der Hand wird der Mensch selbst zum Kraftwerk. Dieser Gedanke gefällt mir sehr.

Würden Sie sichals Idealisten bezeichnen?
Um ein Idealist zu sein, mache ich eigentlich noch zu viele Fehler. Aber ich versuche es.

Im Rahmen Ihrer Kunst experimentieren Sie viel. Wie weit reicht Ihre persönliche wissenschaftliche Kenntnis und wo lassen Sie sich von Physikern und Ingenieuren unterstützen?
Mich interessiert vor allem die Schnittstelle zwischen Naturwissenschaft und Sozialwissenschaft. Ich arbeite in meinem Studio mit vielen Wissenschaftlern zusammen und finde es faszinierend, wenn mir beispielsweise ein Physiker sein Weltbild erklärt. Ich bin zwar kein großes naturwissenschaftliches Talent, verstehe aber mit den Jahren immer mehr.

Sonnenergie ist auf dem Weg, die erschwinglichste Form von nachhaltiger Energie zu werden. Und sie könnte globalen Zugang zu Energie für jedermann bedeuten. Werden Sie noch weitere solarbetriebene Produkte entwickeln?
Oh, ja! Wir möchten solarbetriebene Flugzeuge bauen, sowohl für den Gütertransport als auch für den Personenluftverkehr. Zugegeben: Das ist nicht von heute auf morgen realisierbar. Aber ein großer Traum von mir.

Olafur Eliasson
Der 1967 geborene Künstler mit dänisch-isländischen Wurzeln beschäftigt sich vornehmlich mit den Grundelementen und deren Beschaffenheit. Licht und Wasser, Bewegung und Reflexion spielen in seinen Werken die Hauptrollen. In facettenreichen, teils sehr aufwändigen Experimenten konfrontiert er den Betrachter mit physikalischen Phänomenen und spielt mit dessen Rezeption und Erwartungshaltung. Eliasson beschäftigt in seinem Berliner Studio, einer ehemaligen Brauerei am Prenzlauer Berg, rund 90 Angestellte. Für Green River (1998 bis 2001) färbte der Künstler das Wasser von Flüssen an verschiedenen Orten der Welt mit einem ungiftigen Farbstoff ein. Die Reaktionen der vorher nicht informierten Öffentlichkeit wurden dabei Teil des Kunstwerks. Im Juni 2008 installierte Olafur Eliasson vier große künstliche Wasserfälle rund um die Südwestspitze Manhattans, unter anderem unter der Brooklyn Bridge. Geschätzte 13.100.000.000 Liter stürzten 110 Tage lang von 7 Uhr morgens bis 22 Uhr abends von Gerüsten in den East River.

Little Sun
Eine Reise durch Ostafrika inspirierte Olafur Eliasson zu einem Projekt, das Kunst und soziales Engagement auf höchst fruchtbare Weise miteinander verbindet. Um Menschen in ärmeren, entlegenen Regionen der Welt Zugang zu Licht zu ermöglichen, gründete er gemeinsam mit dem Ingenieur Frederik Ottesen die Firma ‚Little Sun‘. Tragbare solarbetriebene LED-Lampen bilden den Grundstein für ein ungewöhnliches Geschäftsmodell: Die einfachen Leuchtobjekte, die in Form von kleinen Sonnen gestaltet sind, sind auch in westlichen Ländern erhältlich. In Deutschland werden sie zum Preis von 22 Euro pro Stück verkauft. Mit den auf diese Weise erzielten Einnahmen wird garantiert, dass die lokalen Händler in Entwicklungsländern die Lampen dort für etwa 10 Dollar vertreiben können. Bis heute wurden 660 000 Stück verkauft, so konnte Eliasson rund 1,6 Millionen Menschen mit Licht versorgen.

Edison Ausgabe
Juli 2018