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„I want to be a machine“

Art & Culture

Robert Wilsons ‚Der Sandmann‘ nach E.T.A. Hoffmann erntet in Düsseldorf Ovationen

Das Menschliche mit ästhetischen Mitteln zu transzendieren – dieses Begehren eint Andy Warhol und den US-amerikanischen Regisseur Robert Wilson. Nach der Uraufführung bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen, mit denen sie koproduziert wurde, feierte seine Adaption des ‚Sandmanns‘ am Samstag in Düsseldorf Premiere.

Ach Olimpia! Es ist die schöne Mensch-Maschine, der Nathanael verfällt und sich bald mehr verbunden fühlt als seiner Verlobten aus Fleisch und Blut. Doch nicht nur der Protagonist in ‚Der Sandmann‘ wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Wunsch und Wahn. Robert Wilson räumt ein, die Faszination für das mechanische Meisterstück, die lebensechte Puppe, zu teilen. Und man glaubt ihm sofort: In jeder seiner Inszenierungen tritt eine Figur in Erscheinung, die der Olimpia gleicht, deren kühle, perfekte, elegante Oberfläche Wilson in seinem bildmächtigen Theater ein ums andere Mal zum Schillern bringt.

 


Photography: Lucie Jansch

 

Ein weiteres Leitmotiv des schwarzromantischen Schauermärchens ist ebenfalls fest im Werk des Regisseurs verankert, das der Augen. Nathanael ist traumatisiert vom tragischen Tod des Vaters, genau wie von der grausigen Gute-Nacht-Geschichte vom Sandmann, die seine Mutter ihm früher oft erzählt hat. Der Sandmann streue den Kindern, die nicht schlafen wollen, so lange Sand in die Augen, bis diese ihnen blutig aus dem Kopf herausspringen, so heißt es. Wilson inszeniert E.T.A. Hoffmanns vieldeutige Vorlage als tragikomisches Musical, und die gewohnt kühle Ästhetik des Multitaskers (Regie, Licht, Bühne) ist einmal mehr ein Beweis dafür, dass Wilson ein Augenmensch ist. Kritiker werfen ihm vor, an der Oberfläche zu bleiben. Der 75-Jährige kontert: „Das Grauen kann ebenso gut hinter einer glatten Fassade lauern. Es tritt dort umso unheimlicher in Erscheinung.“

Die Perfektion, für die Wilson bekannt ist, macht auch seinen ‚Sandmann‘ zu einem sinnlichen Erlebnis. Sein Lichtdesign, der Umgang mit Zeit und Raum transzendieren die Wirklichkeit. „Ohne Licht existiert kein Raum“, zitiert er Einstein und erklärt damit seine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema. Das von ihm entwickelte Bühnenbild des Düsseldorfer ‚Sandmanns‘ kommt mit wenigen Requisiten aus, dafür sind umso mehr Leuchtstoffröhren im Einsatz.

Am Anfang ist also das Licht. Zudem probt Wilson seine Stücke zunächst so, als handele es sich um Stummfilme, deren Gestus ihn anspricht. „Ich lehne die naturalistische Darstellung ab. Die mimik- und gestenreiche Inszenierung asiatischer Masken- oder japanischer Nō-Theater entspricht viel eher meinem Geschmack.“ Kein Wunder, dass der Text in Wilsons ‚Sandmann‘ nicht die Hauptrolle spielt. Wiederholungen einzelner Passagen verstärken den Surrealismus der Schlüsselszenen, die präzise Körpersprache der Darsteller wirkt dann fast staccatohaft. Herausragend: Nathanael (Christian Friedel: albern, hysterisch und abgründig) und seine Mutter (witzig: Rosa Enskat) – sie überzeugen mit ihrer puppenhaften Performance und überraschen zudem durch ihre Stimmgewalt.

Die Musik stammt von der jungen Britin Anna Calvi, die als Singer-Songwriterin weltweit Erfolge feiert. Ihre eigens für den ‚Sandmann‘ komponierten Stücke stehen dabei im Kontrast zum steifen Biedermeier-Look der Kostüme. Die musikalischen Reminiszenzen reichen von New Wave bis New Romantic. In Kombination mit dem exaltierten Agieren der Schauspieler und ihrem maskenhaften Make-up weckt dies Erinnerung an Voguing, einen im New York der 80er Jahre entstandenen Tanzstil, der als Verkörperung des Oberflächlichen, Narzisstischen schlechthin gilt.

An Aktualität hat E.T.A. Hoffmanns Erzählung nichts eingebüßt, das beweist nicht nur Robert Wilsons Inszenierung. Im Zeitalter von Virtual Reality, von Second Life, Avataren, Cyborgs und Bots scheint sie, obwohl rund zweihundert Jahre alt, überraschend zeitgemäß, was auch am jungen Durchschnittsalter des Premierenpublikums abzulesen war. Dieses dankte mit Standing Ovations – und bekam im Gegenzug vom Ensemble den heimlichen Titelsong des Abends ‚There will be a horror‘ dargebracht. Unterstützt wurde es dabei von dessen Komponistin Anna Calvi, die bei der Premiere persönlich zugegen war, und auch Robert Wilson stimmte in den Chor mit ein.

 

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25. Mai 2017

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