Draußen zerrt der provenzalische Wind an den Fensterläden, drinnen herrscht sakrale Ruhe – Das Collatéral in Arles lädt zur äußeren und inneren Einkehr in eine ehemalige Kirche.
Es ist die reinste Platzverschwendung. Das Le Collatéral besitzt zwar 700 Quadratmeter Grundfläche, aber nur vier Zimmer. Einen Hang zur Einsiedelei kann man den Besitzern Philippe und Anne-Laurence Schiepan allerdings nicht attestieren. Bien au contraire, sie freuen sich darüber, dass ihr Standort, das südfranzösische Städtchen Arles, mit dem Museumsneubau von Frank O. Gehry und der 2019 anstehenden 50. Auflage des Fotofestivals Les Rencontres d’Arles in nächster Zeit über mangelnde Besucher nicht wird klagen können. Doch von ihrem Luxus-Verständnis wollen sie nicht abrücken. Raum und Zeit sind ihnen heilig, damit möchten sie nicht knapsen.
Und die Exklusivität hat weitere, handfeste Gründe: Den Großteil des Gebäudes haben die beiden Exil-Pariser nämlich für die Kunst reserviert. Das Haupt- und Seitenschiff (franz: Le Collatéral) wurde in eine großzügige Lobby verwandelt. Sie bietet viel Raum für zeitgenössische Kunst, Designstücke und Lichtinstallationen. Nicht alle Werke zeigen sich auf den ersten Blick, manch kleines Objekt möchte in den Nischen, den dunklen Ecken und Winkeln erst entdeckt werden. „Wir sind keine Galerie“, betont Philippe. „Vielmehr wollen wir mit den Werken der Künstler leben, die wir schätzen, und diese Wertschätzung mit unseren Gästen teilen.“
Eine industriell anmutende, grob genietete Wendeltreppe schraubt sich vom ebenerdigen Eingangsbereich zur Lobby im ersten Stock und weiter bis hinauf zur Dachterrasse. Die vier Zimmer sind im weitläufigen Gebäude verteilt. Hier ist alles geradlinig und minimalistisch konzipiert. „Die Camargue, der Landstrich rund um Arles, ist ein raues Land. Der Mistral, die wild lebenden Pferde, die Stierkämpfe. All das spiegelt sich in der Einrichtung der Räume“, erklärt der Hausherr seinen Interior-Design-Ansatz. „Die schroffen Oberflächen der hellen Betonwände stehen für das Salz der Region, das irisierende Metall für die Wasseroberflächen.“ Wer den traditionellen provenzalischen Stil erwartet, ist hier also an der falschen Adresse. Die althergebrachte Frage der Gemütlichkeit – sie wird im Le Collatéral neu verhandelt.
Korrespondierend zu den robusten Interiors zeigt auch die Fassade Narben und Brüche. Als die Schiepans 2012 Teile der bereits zuvor zweckentfremdeten Kirche vor den staunenden Augen der Nachbarschaft aus ihrem Kokon aus Waschbeton schälen ließen, versuchten sie erst gar nicht, alle Spuren der Zeit zu verwischen. Die Kontraste zwischen altem Gemäuer, Beton und Stahlträgern, zwischen feinsinnigem Kunstgenuss und rustikaler Einrichtung, zwischen Begegnung und Intimität machen den Reiz dieses Ortes aus.
Nach einer ruhigen Nacht in einem der abgeschiedenen Zimmer tritt man am Morgen aus dem kühlen Dunkel des Kirchengebäudes hinaus auf die von der Morgensonne vorgewärmte Dachterrasse, wo ein versteckter Brunnen plätschert. Bei einem Health-Food-Frühstück schweift der Blick über die Dächer der Altstadt bis zu den silbern blinkenden Facetten des Museumsneubaus. Ja, Philippe und Anne-Laurence haben Recht: Der Kunstgenuss und die Kunst des guten Lebens – sie sollten immer Hand in Hand gehen.
The Weekender
Ausgabe 31, November 2018