← PrevJ'N'C - Cool Cities New York
Next →Gallery Magazine – Ümit Ünal

The Weekender

Cool Cities – Montreal

Fashion / Food / Interior Design / Retail / Travel

Zwischen den Welten

Ob es wohl an den kalten Wintern liegt, dass Montreal noch nicht als Top-Destination unter den Metropolen dieser Welt gehandelt wird? Schwer zu sagen. Tatsache ist: Die über dreieinhalb Millionen Einwohner sind über ihr Dornröschendasein nicht wirklich traurig. Gibt es doch einige innerstädtische Verlockungen, die sie nicht unbedingt mit aller Welt teilen müssen.

Wie beispielsweise die fantastische Restaurantszene: Nach New York ist Montreal die Stadt Nordamerikas mit den meisten Gaststätten pro Einwohner – die, und das ist natürlich das Sahnehäubchen, einen hohen Anteil an exzellenter French Cuisine auftischen. Bekanntermaßen siedelten hier am Saint-Laurent-Strom ja einst die Franzosen. Womit wir schon beim Thema wären: dem Kulturclash von alter und neuer Welt. Denn tatsächlich sind New York und Paris die beiden Referenz-Citys, an die man in Montreal immer wieder erinnert wird. Die Wolkenkratzer im Bankenviertel downtown, die schachbrettartig angelegten Straßenzüge, der lässige Lifestyle? Eindeutig New York. Die pittoresken Bauten aus dem 18. Jahrhundert, die Sprache, die Kirchen und die Küche? Ganz klar Paris.

Darüber hinaus spielt Montreal auch eigene Trümpfe aus – in Sachen Natur zum Beispiel: Die Stadt verfügt über eine 2000 Hektar große grüne Lunge, und 70 Prozent der Einwohner sind ohne Auto unterwegs. 450 km Radweg wurden angelegt, 400 weitere Kilometer sind in Arbeit. Das macht das Fahrrad zu einem hervorragenden Fortbewegungsmittel, zumindest während der warmen Monate: Eben noch in der Rue Saint-Paul Ouest, wo sich die schönsten Fashionstores hinter prächtigen Altbaufassaden verstecken, und ein paar Pedaltritte weiter schon ein Hochhausviertel downtown – innerhalb von Minuten kann man zwischen den Welten switchen.

Ebenfalls gut per Rad zu erreichen: das Plateau am Fuß des Mont Royal, des namenstiftenden Stadtbergs. Hier befindet sich der legendäre Boulevard Saint-Laurent – legendär, weil er die höchste Dichte an Fashion- und Ausgehspots aufweist. Doch damit nicht genug: Auch die Seiten- und Parallelstraßen bergen eine schier unglaubliche Fülle an hübschen Mode- und Einrichtungsläden, netten kleinen Restaurants und Delis, coolen Weinbars und Bagel-Bäckereien.

Toronto mag im innerkanadischen Vergleich die wirtschaftlich stärkere Stadt sein. In Sachen Lifestyle und Kultur ist Montreal jedoch nicht zu toppen: Mit 250 Theater- und Tanzcompanien, darunter bekanntlich der ‚Cirque du Soleil’, mit 90 Festivals pro Jahr und einer buntgemischten Szene in x verschiedenen Neighborhoods ist die Perle der Provinz Québec ein kulturelles Schwergewicht. Und kann, nicht zu vergessen, nach New York und Los Angeles die drittgrößte Fashionindustrie Nordamerikas vorweisen. Für J’N’C-Chefredakteurin Ilona Marx Grund genug, Montreal gemeinsam mit dem Berliner Fotografen Andy Rumball einen Besuch abzustatten.

 

Ausgewählte Texte aus dem City Guide

Bota Bota

BotaBota

 

Wohlfühlen in Montreal? Nichts leichter als das! So halten in der Metropole am Saint-Laurent-Strom nicht nur French Cuisine und Ahornsirup Leib und Seele zusammen. Die Zahl an Spas und Saunen, die dem Großstadtbewohner den kanadischen Winter versüßen, ist schier unüberschaubar. Ganz besonders spektakulär: das Bota Bota, eine umgebaute Fähre von 1951, die nunmehr als Wellnesstempel im Hafen dümpelt. Dass sich der Name an eine nicht ganz unbekannte Südseeinsel anlehnt, macht Sinn: Die Ausstattung ist tatsächlich paradiesisch. Bota Bota besteht aus mehreren Saunen, Dampfbädern, Sonnendecks, Massagesalons und einem kleinen Restaurant. Nicht minder verheißungsvoll: die Aussicht. Die nämlich reicht vom Steuerbord-Outdoor-Pool über die Kuppeln und Kirchtürme der Altstadt bis zu den Skyscrapern von Downtown. Wer backbord in den Jacuzzi steigt, blickt auf das charmant abgewrackte, des Nachts eindrucksvoll beleuchtete Hafensilo oder lässt den Blick zu Habitat 67 hinüberschweifen, einer futuristisch verschachtelten Wohnsiedlung, die der israelische Architekt Moshe Safdie anlässlich der Expo 1967 lässig ans Flussufer würfelte. Ein unvergesslicher Akkord aus Sinnenfreuden und Architekturszenario – besonders in einer Vollmondnacht zu empfehlen!

 

Birks & Mayors

BIrksMayors

 

Frühstück bei Birks. Montreals Antwort auf das traditionsreiche Juweliergeschäft Tiffany hat im Vergleich zum New Yorker Vorbild zwar 42 Jahre weniger auf dem Buckel, dafür aber einen entscheidenden Vorteil. Seit vergangenem Herbst kann man hier nämlich tatsächlich ganz vorzüglich Frühstücken. Es sind jedoch nicht nur die Köstlichkeiten des Sternekochs Jérôme Ferrer, die Genießer ins ‚Birks Café par Europea’ locken. Auch der Ausblick ist wahrlich prachtvoll: Über eine mondäne Treppe gelangt der Gast auf eine Empore, von der aus sich das Gros der funkelnden Preziosen überschauen lässt. So kann der Zahlungskräftige die geplante Investition noch einmal überdenken, der Normalbürger ein wenig träumen und dabei den fantastischen Stuck des großen Verkaufsaals bewundern. Schließlich ist nicht jeder so reich wie die Königin von England, die sich bei Birks schon des Öfteren glücklich kaufte. Ein bisschen königlich darf sich aber auch unsereins fühlen, besonders zum High Tea, der klassisch mit Scones und Clotted Cream gereicht wird. Glück garantiert – ohne sich heillos zu verschulden.

 

Philippe Dubuc

PhilippeDubuc

 

„Ich bin ein Mann der Gegenwart, die Vergangenheit interessiert mich eher wenig“, sagt Philippe Dubuc. Eine Haltung, die seine Kollektionen widerspiegeln. Als einer der einflussreichsten Designer Montreals hat sich Dubuc auf die Dekonstruktion von althergebrachten Formen spezialisiert und das Beschränken auf ein Minimum zu seiner Maxime erhoben. Schlichte Schnitte, monochrome Farben: mehr Understatement geht nicht. Auch der Laden auf der Rue Saint-Denis – für den Franko-Kanadier eine „bourgeoise Bohème-Meile“ – fällt aus der Reihe, ist man doch wesentlich reduzierter eingerichtet als die Nachbarn. Dennoch fühlt sich Dubuc hier, Seite an Seite mit kleinen Restaurants und Boutiquen, Plattenläden und Antiquitätenhändlern, heimisch: „Wir sind nicht nur schick, sondern auch entspannt“, so sein Statement. Kein Wunder, dass selbst Schauspieler und Musiker immer wieder den Weg in die Hausnummer 4451 finden – David Bowie, Cindy Lauper und die Mitglieder der Band The Nine Inch Nails beispielsweise. Sie alle schätzen den unaufgeregten, selbstverständlichen Look und die kompromisslosen, scharfen Schnitte. Dubuc, der in Montreal studiert hat und bereits vor 14 Jahren seinen ersten eigenen Shop eröffnete, betreibt einen zweiten Laden in Quebec City. Eine weitere Filiale in Montreal ist in Arbeit. Doch bei aller Gegenwarts- und Heimatliebe: Produziert wird zum größten Teil in der ‚alten Welt’. 75 Prozent der Ware lässt der Designer in Polen nähen, der Qualität zuliebe.

 

Hôtel Gault

HotelGault

 

Das Gault ist mit Sicherheit das designverliebteste aller Montrealer Boutique-Hotels – und wohl das einzige, das sich in einem ehemaligen Baumwolllager befindet. Nur konsequent also, dass die Luxusherberge nach Kanadas ‚King of Cotton’, Andrew Frederick Gault, benannt wurde. Die 30 Zimmer, Lofts und Suiten sind allesamt mit den schönsten Mid-20th-Century-Klassikern ausgestattet. Umrahmt von weißer Eiche, poliertem Stahl, warmem Backstein und kühlem Beton kommen die Cappellini-, Knoll- und Artifort-Stühle, Artemide-Lampen oder Bad-Armaturen von Arne Jacobsen bestens zur Geltung. Das Haus, dessen Interieur von den Architekten YH2 und Paul Bernier gestaltet wurde, gehörte ursprünglich dem Software-Magnaten und Kunstliebhaber David Langlais, wurde  jedoch an einen europäischen Investor verkauft. Geblieben sind die zahlreichen, von Langlais mit Kennerschaft ausgesuchten Kunstwerke, die nicht nur der Lobby und den Fluren, sondern auch den Zimmer und Suiten eine distinguierte und zugleich sehr private Atmosphäre verleihen. Das Sahnehäubchen: Kunstliebhaber müssen noch nicht einmal im Gault einchecken. Die Eingangshalle, die sich großzügig über die gesamte untere Etage erstreckt, dient nämlich als temporäre Galerie. Hier finden regelmäßig Ausstellungen moderner Quebecer Künstler statt.

 

Nora Gray

NoraGray

 

Gibt es eigentlich Zufälle im Leben? Wenn ja, dann ist das Zusammentreffen der drei Inhaber von Nora Gray ein besonders glücklicher. Begegnet sind sich Ryan Gray, Emma Cardarelli und Lisa McConnell an ihrer früheren Arbeitsstelle, genauer gesagt: im Liverpool House, einem Montrealer Hotspot für Liebhaber der French Cuisine. Dort auch wurde die Idee geboren, auf eigene Rechnung zu wirtschaften. Lisa, die Innenarchitektur studiert hat, nahm die Einrichtung des Lokals in die Hand, während Ryan und Emma am Konzept für das leibliche Wohl der Gäste feilten. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, entschied man sich, einen prägnanten Schwerpunkt zu setzen. Die süditalienische Küche sollte es sein, mit einem Fokus auf Fisch- und Gemüsegerichte. Gesagt, getan – und gewonnen: Bereits innerhalb einer Woche hatte sich die Neueröffnung so weit herumgesprochen, dass es schwierig wurde, einen Tisch bei Nora Gray zu ergattern. Eines der Erfolgsgeheimnisse des Etablissements: Es schmeckt nicht nur wie bei der italienischen Mama, man achtet in der Küche auch auf Figur und Gesundheit. So gibt es von jedem Gericht eine Home-Cooking-Version und eine leichtere, fettarme Variante. Auf kalorienreiche Saucen wird im Nora Gray ohnehin verzichtet, zudem stehen immer auch vegane und laktosefreie Optionen auf der Karte. Gutes Essen mit gutem Gewissen zu vereinen – eine gute Idee!

 

Olive & Gourmando

OliveGourmando

 

Wenn Liebe und eine gemeinsame Leidenschaft zusammentreffen, wird nicht selten ein erfolgreiches Unternehmen geboren. So auch im Fall von Olive & Gourmando. Kennen gelernt haben sich Dyan Solomon und Éric Girard, die beiden Inhaber des gemütlichen Restaurants, schon an ihrem vorherigen Arbeitsplatz, dem Sternetempel Toqué. Doch die Nachtarbeit, in der Gastronomie ja Gang und Gäbe, machte beiden zu schaffen. Sie wollten am sozialen Leben ihrer Freunde teilhaben und wagten daher den Sprung in die Selbstständigkeit – mit einem Tagescafé. „Kochen ist für uns ein Liebesdienst, und das scheint unser Publikum zu spüren“, erklärt Dyan Solomon schmunzelnd die voll besetzten Tische. Bereits im Teenageralter, als sich andere noch von Chips und Süßigkeiten ernährten, begann sie sich fürs Kochen zu interessieren. Eine Passion, die sie nach wie vor erfüllt. „Wir machen alles selber hier, ob Brot, Kuchen, Croissant oder Marmelade. Ja sogar das Gemüse, das wir für unsere Suppen, Salate und Sandwiches verarbeiten, bauen wir selbst an.“ Das Paar, das bereits seit 14 Jahren Liebe und Job unter einen Hut bringt, schwört auf die einfachen Dinge des Lebens, und so wird ohne viel Chichi gekocht. Und da Freizeit ebenfalls zu den Faibles von Dyan und Éric gehört, schließen sie nicht nur um 18 Uhr die Pforten, sondern pausieren an Sonn- und Montagen. Wer sieht, wie das Olive & Gourmando an den übrigen Tagen der Woche brummt, kommt zu dem Schluss: Die beiden können es sich erlauben.

 

Want Apothecary

WantApothecary

 

‚Want Stil’ hieß der erste Laden der beiden Brüder Dexter und Byron Peart, ein selbsterklärender Name. Nun sind die Modemanager mit ihrem Hab und Gut vom alten Hafen ins wohlhabende Westmount umgezogen und haben dort eine Art Fashion-Apotheke eröffnet. ‚Want Apothecary’ nennt sich der Neuzugang auf der Rue Sherbrooke Ouest. Und auch hier gilt einmal mehr: nomen est omen. Schließlich haben es sich Dexter und Byron zur Aufgabe gemacht, die Montrealer mit alldem zu versorgen, was für ihr Wohlbefinden von Nöten ist. Dazu gehört natürlich in erster Linie schicke, hochwertige Mode, beispielweise von Acne, Filippa K. oder Nudie Jeans – von skandinavischen Brands also, deren kanadischen Vertrieb die Peart-Brüder in die Hand genommen haben. Byron, ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen, kann sich darüber hinaus auf die Fahnen schreiben, das französische Label Kitsuné in Montreal eingeführt zu haben. Doch damit nicht genug der Qualitätsnamen: Direkt am Apothekertresen wird die australischen Kosmetik-Marke Aesop verkauft, ebenso Kerzen aus Paris. Und da die busy Brothers so wahnsinnig viel unterwegs sind, haben sie, ganz pragmatisch, zudem eine eigene Reisegepäck-Linie entwickelt. Die Range aus Taschen, Boardbags, großen Brieftaschen für Reisepapiere und Cases für iPads und Co. besticht durch feistes italienisches Leder, zum Teil kombiniert mit organischer Baumwolle. Schade nur, dass man auch in Montreal Accessoires nicht auf Rezept bekommt.

 

J’N’C Magazine
Ausgabe 1/2012