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The Weekender

Cool Cities – New York

Fashion / Food / Interior Design / Retail / Travel

Doings of Gotham

Es sind die extremen geographischen Gegebenheiten, die New York zu dem machen, was es ist: eine Sardinenbüchse, in der rund acht Millionen Menschen auf engstem Raum, quasi übereinander gestapelt, leben und arbeiten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Metropolen ist es dem Big Apple grundsätzlich nicht vergönnt, in die Breite zu gehen: Zwei Flüsse, der Hudson und der East River, verhindern eine flächenmäßige Ausweitung des Zentrums. Zumindest auf Manhattan Island kann Wachstum daher nichts anderes bedeuten als Aufstockung und Überlagerung.

In der Folge entsteht der Eindruck, New York sei in stetem Umbau. Ständig werden alte Viertel neu entdeckt und komplett umgestaltet. So ist der Zeitpunkt, an dem eine Gegend ins öffentliche Bewusstsein rückt, oftmals gleichbedeutend mit ihrer Todesstunde. Dann nämlich, wenn die Mieten in so schwindelerregende Höhen steigen, dass Normalverdiener ihre Sachen packen und ihre Immobilien reichen Investoren überlassen müssen. ‚Gentrification‘ heißt dieses Phänomen, das sich am Beispiel New York so trefflich beobachten lässt – ein Phänomen, das in der sozialen Umstrukturierung ganzer Stadtteile mündet und aktuell schwer um sich greift: Findige Köpfe nehmen sich historisch gewachsene Viertel vor und investieren hier in groß angelegte Restaurierungs- und Umbaumaßnahmen, was eine Aufwertung des Wohnraums nach sich zieht. Die In-Crowd steht schon in den Startlöchern, und bald werden Stadtgebiete, die vormals ob ihrer günstigen Mieten bei Künstlern und Familien beliebt waren, von Yuppies und Großverdienern bevölkert. Der Meatpacking-District und SoHo sind die augenfälligsten New Yorker Beispiele aus der Vergangenheit, jüngst war dann die Lower East Side an der Reihe.

Die Low-Income-Karawane zieht also weiter, nach Harlem, Brooklyn und in die Bronx. Doch New York wäre nicht, was es ist, wenn sie hier zum Stehen käme: Jene Viertel, die Manhattan aufgrund ihrer Lage oder guten Verkehrsanbindung am nächsten sind, wie der Brooklyner Stadtteil Williamsburg beispielsweise, erleben gerade ebenfalls massive Veränderungen. Mit dem Claim ‚Just one stop from Manhattan‘ wirbt man hier um Investoren und neue Mieter, die sich in die schicken Apartmentblocks, die am Ufer des East River aus dem Boden schießen, einkaufen sollen. Zugegeben, der Blick, den man von hier aus auf Manhattan genießt, ist schlichtweg grandios – und Brooklyn längst nicht mehr so heruntergekommen und gefährlich wie in den 80er Jahren. Das Publikum, das momentan noch den Williamsburger Charme ausmacht, wird jedoch vermutlich nicht in diese Neubauten einziehen, vielmehr in dieser nimmermüden Stadt über kurz oder lang auf die angrenzenden Viertel ausweichen müssen.

Insofern möchte der New-York-Cityguide, den Ilona Marx gemeinsam mit der Fotografin Carissa Pelleteri auf ihren Streifzügen für j’n’c zusammengestellt hat, auch nur eine Momentaufnahme sein. Trotzdem hoffen wir, mit unserer Auswahl an hübschen kleinen Stores, authentischen Diners und Restaurants sowie spektakulären Hotels einige Facetten dieses faszinierenden Schmelztiegels eingefangen zu haben.

 

Ausgewählte Texte aus dem City Guide

The Future Perfect

FuturePerfect

 

In Sachen Unternehmensführung kennt David Alhadeff sich aus. Der Besitzer von The Future Perfect startete sein Berufsleben in der IT-Branche und gründet schon in sehr jungen Jahren sein eigenes Business. Eines Tages beschloss er jedoch, seinen Neigungen zu folgen, und verkaufte die Internetfirma, um sich fortan der Innenarchitektur zu widmen. Und der Erfolg blieb ihm hold: Auch sein Interior-Design-Store im Brooklyner Stadtteil Williamsburg entwickelt sich prächtig. Geschuldet ist dies zum einen dem außergewöhnlichen Riecher, den Alhadeff beim Einkauf von ausgefallenen Designstücken beweist, die er von lokalen Manufakturen, aber auch von internationalen Messen bezieht. Zum anderen spielt dem Geschäftsmann natürlich auch die Bauwut in die Hände, die an der Kent Avenue, nur einen Block von seinem Laden entfernt, grassiert. Hier, am Brooklyner Ufer des East River, entsteht momentan eine Vielzahl schicker Apartmenthäuser mit Blick auf Manhattan. Die Klientel, die durch diese Entwicklung nach Williamsburg geschwemmt wird, dürfte Alhadeff noch sehr gute Umsätze bescheren, so dass ihm wohl auch für die Zweitkarriere ‚the perfect future’ winkt. Kein Wunder, dass sich der Jungunternehmer derzeit mit Expansionsplänen trägt. Nach einem zweiten Shop in Los Angeles könnte David sich durchaus vorstellen, weitere Stores in Manhattan oder gar in London zu eröffnen.

 

Groupe Seize sur Vingt

GroupeSize

 

Ein Turbo Esprit, Baujahr 1975, der seine lange weiße Schnauze vorwitzig aus dem torgroßen Eingang auf die Elisabeth Street reckt, dient als Kundenköder bei Groupe Seize sur Vingt. Dieser multikonzeptionelle Fashion-Store korrespondiert mit der benachbarten Maßschneiderei von ‚Seize sur Vingt’, wo seit nunmehr zehn Jahren auf Kundenwunsch Damen- und Herrenhemden, Schuhe und Anzüge aus einer vorgegebenen Kollektion körpergerecht nachgefertigt werden. Die Verwendung feinster Woll-, Seiden- und Baumwollstoffe hat bei Seize sur Vingt Priorität. Um aber auch einmal fünf gerade sein lassen zu können, wurde die Menswear-Range ‚Troglodyte Homunculus’ ins Leben gerufen. Diese Zweitlinie verkörpert eine etwas lässigere Haltung. Hier werden Karo- und Cordstoffe eingesetzt, und auch Slacks und Bomberjacken tauchen in der Linie auf. Dritte im Bunde ist die Kollektion von ‚United Boroughs of New York’, – offizielles Label des NYC Secession Movements, das im November 2004 gegründet wurde. Neben den drei hauseigenen Linien beherbergt man in der Groupe noch weitere Ready-to-Wear-Kollektionen für Damen und Herren. Schier unmöglich also, in diesem weitläufigen Conceptstore umherzustreifen, ohne das Passende für sich zu finden. Für diesen unwahrscheinlichen Fall gibt es jedoch immer noch die Option, sich den Turbo Esprit genauer anzuschauen. Die smarte Vorlage für das submarine Vehikel aus ‚Der Spion, der mich liebte’ steht nämlich auch zum Verkauf und wurde, ganz im Sinne von Seize sur Vingt, für seinen Erstbesitzer ebenfalls extra angefertigt. In dieser Ausführung und Farbkombination gibt es weltweit nur zwei Exemplare, so dass die 30.000 US-Dollar, die das schnelle Gefährt kosten soll, durchaus gerechtfertigt sind.

 

Hotel on Rivington

HotelRivington

 

Mit seinen 21 Stockwerken überragt das gläserne Gebäude des Hotels on Rivington die Nachbargebäude aus dem 19. Jahrhundert bei weitem und hat dadurch in der Lower East Side keinen leichten Stand. Verständlicherweise sind nicht alle Anrainer von dem Prachtbau begeistert,  aber wie so oft gilt auch hier einmal mehr die goldene Regel: Des einen Leid ist des anderen Freud. Diejenigen nämlich, die es sich leisten können, im Rivington Station zu machen, kommen in den Genuss einer fantastischen Aussicht. Nahezu jedes der für New Yorker Verhältnisse überaus großzügig geschnittenen Zimmer verfügt über wandhohe Fenster, die den Blick über Lower Manhattan freigeben. In den Suiten der oberen Etagen wurde die Stadtlandschaft regelrecht ins Interior Design miteinbezogen. Dort badet oder duscht man mit unverstelltem Blick auf das Empire State Building oder die Brooklyn Bridge – ein Erlebnis, von dem auch jene Gäste profitieren, die wenig Hang zum Exhibitionismus haben. Schließlich ist die Glasfassade aus der Feder des Architektenduos Grywinski Pons mit optimalen Sichtschutzblenden ausgestattet. Erbauer des Rivington war Peter Stallings, bei der Inneneinrichtung gab sich gleich eine ganze Riege von Stardesignern die Ehre. Marcel Wanders hat beispielsweise den skulpturalen Eingang geschaffen und India Mahdavi zeichnet für die Gestaltung der Zimmer verantwortlich. Ihr ist es auch zu verdanken, dass sich die Vorhänge auf einen Weckruf hin vollautomatisch öffnen, ein Luxus, der natürlich ebenfalls mitbezahlt werden möchte. Ganz günstig sind die Zimmer im Hotel on Rivington also nicht, dafür hat sich das Management etwas Besonderes überlegt: Jeden Sonntag wird in der Penthousesuite über drei Etagen hinweg eine öffentliche Party gefeiert, bei der nicht nur die Hotelgäste gern gesehen sind. So können auch weniger Betuchte einmal wöchentlich von der Dachterrasse des Rivington aus das Großstadtpanorama bestaunen.

 

Lenox Lounge

LenoxLounge

 

Wer sich für afro-amerikanische Kultur und schwarze Politik interessiert, der kommt um einen Besuch der Lenox Lounge nicht herum. Seit ihrer Eröffnung im Jahre 1939 diente die Harlemer Bar als Backdrop für unzählige Jazzlegenden, darunter auch Billie Holiday, Miles Davis und John Coltrane. Daneben wurde der Jazzclub, der dank seiner schwarzweiß gestreiften Wände und des Art-Deco-Interieurs auch Zebra Room genannt wurde, zum Treffpunkt der Schriftsteller der Harlemer Renaissancebewegung, angeführt von James Baldwin und Langston Hughes. Und sogar Malcom X soll sich hier oft mit Gleichgesinnten und Freunden getroffen haben. Neben dem legendären Cotton Club und dem Savoy Ballroom war die Lenox Lounge lange Zeit einer der wichtigsten Clubs im Viertel ; jetzt, da die beiden anderen nicht mehr existieren, gilt sie gar als der Älteste und erstrahlt nach einer aufwändigen Restaurierung im Jahr 1999 nun auch endlich wieder in altem Glanz. Die angenehmste und preiswerteste Art, einen Abend in der Lenox Lounge zu verbringen, besteht zweifellos darin, den Besuch eines der hochkarätig besetzten Jazzabende mit einem Dinner zu verbinden. So umgeht man den hoch angesetzten Mindestverzehr und kann mit allen Sinnen zugleich genießen.

 

Relish

Relish

 

Kaum ein Ort, der so unverwechselbar die US-amerikanischen Lifestyle-Prinzipien der Unkompliziertheit und Mobilität verkörpert wie der Diner. Datiert die Geschichte dieses Restaurants auf Rädern bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts zurück, so erfreute es sich zweifellos niemals wieder so großer Beliebtheit wie in den 50er Jahren. Aus genau dieser Zeit stammt auch das Edelstahlmobil, in dem das hippe Williamsburger Relish logiert. Bereits vor 40 Jahren ist die schöne Luncheonette an der Ecke Wythe Avenue/North 3rd Street zum Stehen gekommen, hat seither allerdings einige Male den Besitzer gewechselt und wurde erst 2000 von ihrem jetzigen Betreiber, einem Schriftsteller und Designer, als Restaurant wiedereröffnet. Schon beim Betreten des Gourmetcontainers fühlt man sich unmittelbar in ein amerikanisches Teenage-Love-Movie versetzt. Entlang der umlaufenden Fensterfront laden zwei Dutzend mit weinrotem Kunstleder bezogene Sitzkojen Pärchen und Cliquen zum dinieren ein, während auf der langen Reihe unverrückbarer Hocker, die sich an der Bar entlang schlängelt, diejenigen lungern, die entweder Liebeskummer oder mehr Durst als Hunger mitgebracht haben. Das Essen im Relish versteht sich als Hommage an die internationale Küche, ohne jedoch seinen amerikanischen Ursprung zu verleugnen. Französische, italienische, griechische und sogar nordafrikanische Einflüsse sind spürbar – eine Gratwanderung bisweilen, die aber, glaubt man der Kundschaft, meist mühelos gelingt. Die Preise rangieren zwischen neun und 20 US-Dollar, das was der Amerikaner angesichts der üppigen und leckeren Gerichte als ‚reasonable’, also vernünftig, bezeichnen würde. Allerdings sollte, wer sich fürs Relish entscheidet, nicht kamerascheu sein: Immer wieder dient die originelle Location als Kulisse für Spielfilme und Modeproduktionen. Zuletzt drehte gar Robert der Niro hier eine Szene seines Thrillers ‚Der gute Hirte’.

 

La Esquina

LaEsquine

 

Little Mexiko in Soho. Seit 2005 existiert der Dreiklang aus Taqueria, Café und Brasserie – und birst seither rund um die Uhr vor hungrigem Publikum. Die Taqueria, die sowohl als Eat In als auch als Take Out fungiert, ist Anlaufpunkt der jungen Hipster, die sich hier für nur wenige Dollar an den Tacos, Quesadillas und Tortas satt essen. Um die Ecke befindet sich, wie der spanische Name schon sagt, der Eingang von ‚La Esquina’, dem dazugehörigen Eck-Café. Auch hier wird traditionelles mexikanisches Essen zu vernünftigen Preisen serviert, jedoch sitzt man auf Camouflage-bezogenen Polstern und wird von vermummten oder düster dreinblickenden Freiheitskämpfern beäugt, deren großformatig abgezogene Konterfeis an den rustikalen Holzwänden prangen. ‚Übertrendy’ wird es dann im dritten Etablissement, der unterirdischen Brasserie. Um dieses halbgeheime Restaurant betreten zu dürfen, muss man nicht nur eine mindestens dreiwöchige Wartezeit in Kauf nehmen, sondern auch erst einmal an den Türstehern vorbeikommen, die der Stalin-Ära zu entstammen scheinen und das Souterrain wie einen Privatschatz bewachen. Hat man jedoch Einlass in diese stylische Grotte gefunden, wartet in jedem Fall exzellentes, an die mexikanische Küche angelehntes Essen. Mit etwas Glück kommt man auch in den Genuss, Tisch an Tisch mit Beyoncé oder Madonna zu sitzen, was den Reiz der versteckten Location natürlich noch um ein Vielfaches erhöht.

 

Nom de Guerre

NomDeGuerre

 

Obwohl die Kriegseinsätze der letzten Zeit den Ruf der USA als Friedensmacht doch reichlich ins Wanken gebracht haben, scheint das Verhältnis der modebewussten New Yorker zum Militärischen wenig getrübt. Schließlich ist Nom de Guerre hier in den letzten fünf Jahren zu einer der beliebtesten Menswearstores avanciert, und auch die aktuelle Kollektion der gleichnamigen Hausmarke gibt sich deutlich kämpferisch. Losgelöst von jeglichem aktuellen Bezug propagiert man bei Nom der Guerre momentan den Look der Jahre 1939-45. Allerdings kann Political correctness nicht wirklich ein Maßstab sein. Schließlich orientiert sich die aktuelle Kollektion nicht nur am Uniformstil der Alliierten, sondern zitiert sich darüber hinaus einmal quer durch das militärmodische Repertoire der östlichen Verbündeten. Gummierte Baumwolljacken und wollgefütterte Mäntel schützen dabei vor widrigem Wetter, während man sich mit Hilfe einer Range von T-Shirts, die auf ehemalige Vordenker und Meinungsführer wie Alexander Rodchenko, Vladimir Mayakovsky und Carl Jung verweisen, einen intellektuellen Anstrich gibt. Gute Tarnung spielt im Übrigen nicht nur in der hauseigenen Kollektion eine Rolle. Auch der Flagshipstore des New Yorker Labels ist gut versteckt: Einzig ein Namenszug auf dem Pflaster deutet darauf hin, dass die unscheinbare Treppe an der Ecke Broadway/Bleecker Street hinab in den Modebunker führt. Die Idee für das Konzept stammt übrigens von Kenta Miyamoto, in der hiesigen Fashionszene auch als ISA bekannt. Er war es auch, der vor Jahren den ISA-Shop in Williamsburg eröffnete und damit die ersten Designerstyles in diesen Stadtteil von Brooklyn brachte. Inzwischen ist der Williamsburger Laden zwar wieder geschlossen, dafür aber entwickelt sich Nom de Guerre prächtig. Das Label ist nunmehr schon in mehr als einem Dutzend Länder zu haben und wird unter anderem auch bei Colette in Paris verkauft.

 

J’N’C Magazine
Ausgabe 4/2008