Die Fastenzeit hat begonnen – für den belgischen Designer Bruno Pieters, Gründer und CEO des Ecofashionlabels Honest By, wird sie jedoch ganze neun Monate dauern und einen viel einschneidenderen Effekt auf sein Leben haben als eine Diät. Als Bruno Pieters den Artikel von Adam Minter auf Bloomberg.com las, war er fassungslos: Dieser enthüllte, dass die weltweite Produktion von Bekleidung sich zwischen 2010 und 2015 verdoppelt hatte. „Niemand kauft mehr gebrauchte Kleidung“, stellte Minter fest. Und ebenso schlimm: Die Nutzungsdauer von Kleidung, die Male also, die die Stücke getragen werden, bevor sie im Altkleidercontainer landen, ging weltweit um 36 Prozent, in China sogar um 70 Prozent zurück. „Die Berge an Secondhand-Kleidung wachsen, obwohl die Märkte dafür verschwinden. Schon jetzt übersteigen die Treibhausgas-Emissionen der Textilindustrie diejenigen aller internationalen Flüge und der weltweiten Schifffahrt zusammen“, deckt Minter weiter auf.
Bruno Pieters, der als radikaler Vordenker der Nachhaltigkeitsbewegung gilt, will angesichts dieser Entwicklung ein Zeichen setzen. Seine Konsequenz und Ernsthaftigkeit ist für viele ein Vorbild, denn Pieters belässt es nicht dabei, umweltzertifizierte Materialien einzusetzen oder faire Löhne zu bezahlen. Er ist der Ansicht, dass weit radikalere Maßnahmen vonnöten sind, um die Probleme der Textil- und Bekleidungsindustrie zu lösen, um Ausbeutung und Umweltverschmutzung zu beenden. „Nachhaltigkeit ohne 100-prozentige Transparenz, ist nichts als heiße Luft“, sagt der 43-Jährige. Seine Transparenz ist sprichwörtlich und allumfassend. Nicht nur, dass er seine Kunden über die Produktionsstätten, Materialien und Lieferwege informiert, er rechnet auch die Margen vor, die mit den einzelnen Produkten erzielt werden. So weiß jeder, was die Näherin für ihre Arbeit an dem vorliegenden Kleidungsstück erhalten hat. Das erfordert Mut. Schließlich ist vielen Menschen nicht bewusst, wie sich die Kosten für ihre Bekleidung zusammensetzen, wie sie in Vertrieb und Handel kalkuliert werden, sprich: Wer an welcher Stelle der Wertschöpfungskette wie viel verdient.
Mut bewies der 1975 in Brügge geborene Bruno schon, als er eine andere radikale Entscheidung für sein Leben traf. Nach zehn sehr erfolgreichen Jahren in der High-Fashion-Industrie beschloss der damals 35-Jährige, aus dem exklusiven Karussell auszusteigen. Zuvor hatte der Designer, dem die berühmte Modekritikerin Suzy Menkes bereits bei seinem Abschluss an der Royal Academy of Fine Arts in Antwerpen großes Talent bescheinigt hatte, für Häuser wie Maison Martin Margiela, Thimister und Christian Lacroix gearbeitet, hatte in Paris gelebt und war ein Darling der Luxusgüterindustrie gewesen. Drei Jahre als Kreativdirektor der Linie Hugo by Hugo Boss, in denen er auch seine eigene Kollektion weiter ausbaute, folgten, dann kam der Cut. Bruno beschloss, ein Sabbatical einzulegen, um Abstand vom Modebiz zu gewinnen und sich auf die Dinge zu besinnen, die ihm wirklich wichtig waren. Von 2010 bis 2012 kehrte er der Branche den Rücken, reiste in dieser Zeit durch Indien und kam mit einer neuen Einstellung zurück.
„Ich habe mir eine Auszeit genommen, um die Welt zu bereisen. Für mich war es wichtig, eine Pause einzulegen, mein bisheriges Leben zu reflektieren. 2011 war ich dann bereit für einen Neuanfang. Honest By ist grundlegend anders als alles, was ich bisher gemacht habe. Und zum ersten Mal im Leben kann ich voller Überzeugung behaupten, dass ich das, was ich tue, auch liebe “, sagte der gut aussehende Pieters über die Gründung seines Labels Honest By 2012. Sein neuer, ja geradezu revolutionärer Ansatz brachte Bewegung in die Modebranche. Die Honest-By-Kollektion, die Pieters stilistisch als Neo-Classic Hybrids, also als Klassiker mit einem modernen Twist beschreibt, legt den gesamte Produktionsprozess und die Lieferkette für jedes einzelne Produkt offen und schafft so absolute Preistransparenz. Der ausschließliche Vertrieb über den eigenen Online-Shop verhindert, dass Pieters Preispolitik untergraben wird. Dass auch Gastdesigner unter der Firmierung von Honest By Entwürfe launchen und an den Erkenntnissen um nachhaltige Produktionsmöglichkeiten, die Honest By in den letzten Jahren erarbeitet hat, teilhaben können, gehört mit zur Philosophie.
Pieters hat das engstirnige Konkurrenzdenken hinter sich gelassen und sieht die größeren Zusammenhänge. „Es gibt Menschen, denen mein Stil nicht entspricht, die aber trotzdem den Prinzipien von Honest By folgen möchten. Sie finden dann vielleicht in einer Kollektion der Honest-By-Gastdesigner Marie-Sophie Beinke, Nicolas Andreas Taralis oder Glenn Martens (Y/Project) das Passende für sich. Wir können auf diese Art weit mehr Menschen erreichen und möchten niemanden ausschließen“, erklärt er seine Haltung. In die gleiche Kerbe schlägt auch die ‚Liste‘, ein von Honest By akribisch recherchiertes Netzwerk an nachhaltigen Garn- und Stoffzulieferern, das Pieters frei zugänglich auf der Seite veröffentlicht. Außerdem gehen zwanzig Prozent seines Gewinns in Charity-Projekte.
Die jüngste Entscheidung, die Produktion seines Labels zwei Saisons auszusetzen, ist wirtschaftlich die radikalste, auch wenn die bestehenden Kollektionen weiterhin auf der Website verkauft werden. Dass Pieters sein Modefasten auch im privaten Bereich vollzieht, scheint logische Konsequenz. „Sollte ich in diesen neun Monaten etwas brauchen, werde ich es Secondhand kaufen.“ Nun hofft der Belgier, dass viele Modeliebhaber seinem Vorbild folgen und ihr Tun über #fashionfast auf den sozialen Medien teilen.
Sportswear International
Ausgabe 284, 04.2018