Marie-Antoinette-Frisur, schwarzer Schleier und getönte Schmetterlingsbrille – Diane Pernet ist eine Ikone der Pariser High-Fashion-Welt. Nun feiert die Bloggerlegende, die stets auf der Suche nach neuen Talenten ist, mit dem von ihr gegründeten ASVOFF Filmfestival zehnjähriges Jubiläum.
Paris scheint in diesem Sommer an den Äquator gerutscht. Die Fondation Louis Vuitton von Frank Gehry liegt wie ein futuristisches Schlachtschiff im tropischen Dunst des Bois de Boulogne. Temperaturen und Luftfeuchtigkeit sind jedoch nicht ausschlaggebend dafür, weshalb hier viel Haut zu sehen ist. Und zwar vor allem männliche Haut. Es tobt vielmehr ein Kampf um Aufmerksamkeit. Zwischen jungen Männern in geschnürten Miedern, mit verrutschten Schulterträgern und tiefen Dekolletees. Oder in taillenhohen violetten Bundfaltenhosen, mit hohen Blockabsätzen und langen, feuerroten Haaren. Gar nicht so einfach für die Frauen unter den rund einhundertfünfzig Anwesenden, in solch illustrer Gesellschaft noch aufzufallen. Einer jedoch gelingt es mühelos: komplett in Schwarz gekleidet, das hoch aufgetürmte Haar unter einem dezent bestickten Schleier, dunkel getönte Schmetterlingsbrille, ein bodenlanger Rock mit Schleppe. Geheimnisumwittert steht sie da, umspült von Jugend, Farbe, aufgeregtem Gegiggel und eifrig verschickten Fotoposts: Die Bloggerlegende Diane Pernet geht heute wieder einmal ihrer Lieblingsbeschäftigung nach. Sie nimmt ein Vollbad in jungen Talenten.
In wenigen Minuten wird der LVMH Prize verliehen, der alljährlich Nachwuchstalente aus der Modebranche auszeichnet. Fast eine halbe Million Euro Preisgelder verteilt der Konzern unter den Anwesenden – man ist nicht knickrig im Haus der Luxusmodemarken. Dementsprechend groß ist die Spannung bei den jungen Designern, deren Kollektionen bewertet werden. Die Jury: Karl Lagerfeld, Marc Jacobs, Nicolas Ghesquière, der seit fünf Jahren die Damenkollektion von Louis Vuitton entwirft, JW Anderson, ebenso lang schon bei Loewe, die Kenzo-Designer Humberto Leon und Carol Lim neben Maria Grazia Chiuri, der ersten Frau an der Kreativspitze von Dior, und Clare Waight Keller, die junge Geheimwaffe von Givenchy Haute Couture. Der oberste Gerichtshof also. Und folglich auch keine Schande, wenn man heute nicht gewinnt. Das können eh nur drei von den neunen, die hier im Finale stehen. Dennoch: Die Aufmerksamkeit von Kaiser Karl auf sich zu ziehen, vielleicht im Nachgang bei einem Glas Veuve Clicquot mit Nicolas Ghesquière ins Gespräch zu kommen, mit den richtigen und wichtigen Leuten Kontakt zu knüpfen, dafür sind die meisten hier. Daher der Aufzug, die nackten Schultern, die Heels.
Diane Pernet ist auch hier, um Leute zu treffen. Aber sie muss sich nicht mehr anstrengen. Ihre Gesprächspartner werden angeschwemmt, während sie vor der Bar an einem Glas Wasser nippt und mit einem kaum hörbaren Stoßseufzer die Hitze kommentiert. Ihrem exzentrischen Äußeren zum Trotz ist Diane eher zurückhaltend, sie spricht mit leiser, sanfter Stimme. Ein zierliches, fast ätherisches Wesen, scheinbar alterslos, nicht ganz von dieser Welt. Doch mag es auch so scheinen, der Realität entrückt ist die Dame dort an der Bar keineswegs. Im Gegenteil. Als eine der Ersten erkannt sie 2005 die Zeichen der Zeit und gründete einen Modeblog. „A Shaded View On Fashion“ ist die virale Stimme von Diane Pernet – und rund ein Dutzend Gleichgesinnte arbeiten weltweit mit, um diese Stimme international zu verstärken.
Als Journalistin und Talentscout machte Pernet in den vergangenen Jahren ebenfalls von sich reden, am wichtigsten sei ihr selbst jedoch das ASVOFF Filmfestival, das sie 2008 gründete. „Ich habe keine Kinder, möchte der Welt aber gerne etwas hinterlassen“, erklärt sie ihren Wunsch, das Festival zu ihrem Lebenswerk zu machen. Das Genre ‚Fashion Film‘, dem das Festival gewidmet ist, umfasst Filme unterschiedlichster Herkunft, Länge, Entstehungsweise. Gemein ist ihnen einzig, dass sie sich mit Mode auseinandersetzen, sie thematisieren, sie inszenieren. Fashion Film kann und könnte vieles sein: eine Alternative oder Ergänzung zur klassischen Modenschau zum Beispiel, die sich bestens viral verbreiten lässt und somit auch mehr Menschen als nur den ‚Chosen Few’ zugänglich wäre. Instagram hat ja schon gute Vorarbeit geleistet, aber im Bereich Bewegtbild schlummert noch Potential. Daneben könnte der Modefilm aber auch Kunstform sein, Kulturgut, Inspirationsquelle. Bislang bekommt das Genre jedenfalls nicht die öffentliche Aufmerksamkeit, die es verdient, das steht für Diane fest. Und somit auch ihre Aufgabe.
Jetzt wird es still, alle Handys fliegen hoch. Delphine Arnault, Gastgeberin und Vizepräsidentin des Konzerns, betritt in marineblauem Belle-de-Jour-Kleid und Slingpumps das Podium. Hinter hier thront die Jury. Lagerfeld mit weißem Bart, Jacobs, gutaussehend wie immer, Ghesquière, der fast Jacobs’ Bruder sein könnte, Anderson, erfrischend casual. Jaden Smith, 19-jähriger Schauspielsohn von Will Smith, verkündet den Gewinner des Sonderpreises: Rok Huang aus Südkorea. Und Emma Stone, Gesicht der Louis-Vuitton-Kampagne, strahlend schön, übergibt den Hauptpreis an Masayuki Iro von Doublet, der sich lässig auf Japanisch bedankt. Diane Pernet ist wie alle Umstehenden hingerissen vom Charme der Hollywoodschönheit. Doch die Show ist schnell vorbei. Keine 20 Minuten später sind Emma und Karl verschwunden – sie zurück ins Ritz, er ins Atelier –, und nur JW Anderson, der mit seinem hemdsärmeligen Look ohnehin sehr nahbar wirkt, mischt sich noch kurz unter die Gäste, die wie ein Schwarm bunter Fische auf eben die Bar zusteuern, an der der Stardesigner gerade einen Rosé Champagner bestellt.
Diane verabschiedet sich, sie hat viel zu tun. Morgen ist die Pressekonferenz ihres Festivals. Und dann die Vorauswahl: 350 Filme wurden für das Festival im September eingereicht, die müssen noch gesichtet und für die Jury vorausgewählt werden. Ganze 14 Kategorien sollen bewertet werden. Da wartet ein großer Berg Arbeit. Mode und Film zu verbinden war schon immer ein Traum von Diane. „Ich habe in Philadelphia Film und Kommunikation studiert und bin nach meinem Abschluss für ein Fashiondesign Studium an die Parsons Design School in New York gewechselt“ erzählt Diane von ihren Anfängen. „Dort aber stellte ich sehr schnell fest: Wenn ich hier bleibe, verliere ich den Spaß an der Mode.“ Als Autodidaktin fand Diane dann aber dennoch den Weg ins Biz – und arbeitete 13 Jahre lang als Modedesignerin ihrer eigenen Linie. Doch die späten 80er Jahre waren keine gute Zeit im Manhattan, wo Diane schräg gegenüber von Andy Warhols Factory wohnte. Aids, Drogen, Kriminalität. Irgendwann fühlte Diane sich nicht mehr aufgehoben dort – und zog 1990 nach Paris.
Die Konferenz des ASVOFF Fashion Film Festivals findet am darauffolgenden Abend im reich dekorierten Jugendstilambiente des Theater-Restaurants Maxim’s an der Rue Royale statt. Pierre Cardin, 96 Jahre alt, das marineblaue Sakko ist etwas groß geworden, ist aus Südfrankreich angereist. Sein spektakulärer Palais Bulles, ein futuristischer Blasenpalast unweit von Cannes gelegen, sollte eigentlich als Location für das Festival dienen. Doch nun sorgt Cardin trotz seines fast biblischen Alters für Wirbel. Der französische Couturier, der in den 60er und 70er Jahren weltberühmt für seine strengen graphischen Entwürfe war, schreckt vor Dianes schwarzen Schleier zurück. Sie erinnere ihn an unser aller Vergänglichkeit. Cardin möchte partout keine gemeinsamen Fotos. Erst als ein Film anläuft, eine Hommage an sein Lebenswerk, beruhigt sich der weißhaarige Modezar.
Trotzdem: Die Stimmung ist angespannt. Diane sitzt auf dem roten Samtstuhl auf der anderen Seite des Gangs und verzieht keine Miene. Ihre PR-Beraterin Geraldine verkündet unterdessen die eigentliche und frohe Botschaft: Die spanische Schauspielerin Rossy de Palma, berühmt durch ihre Rollen in Pedro-Almódovar-Filmen, hat für September als Präsidentin der Jury zugesagt. Zum feierlichen Anlass werden auch andere frühere Präsidenten der vorangegangen Festivals kommen und die Jury bilden. Darunter Jean Paul Gaultier, Rick Owens und seine Partnerin Michèle Lamy sowie die Künstlerin Orlan. Orlan ist heute Abend auch mit dabei und dank ihrer Schläfenimplantate leicht zu identifizieren. Der durchtrainierte Casey Spooner, Mitglied des Elektroduos Fisherspooner, der beim Festival zu den musikalischen Gästen gehören wird, stellt sich mit Namen vor. Beide stärken Diane demonstrativ den Rücken.
„Ich trage diesen Look ja nunmehr seit vielen Dekaden, er ist Teil meiner Identität.“ erklärt Diane später bei einer Tasse Darjeeling. Auch in ihrer Nachbarschaft, dem 7. Arrondissement, verlasse sie niemals ohne Brille und Schleier das Haus. Es ist ihre Uniform,wie das graue T-Shirt bei Mark Zuckerberg.
Pernet disponiert um. Eine neue Event-Location muss her. Jean Paul Gaultier hat angeboten, für Cardin einzuspringen. Nach den Filmvorführungen im Pariser Club de L’etoile wird nun in seinem Headquarter gefeiert. Denn verbiegen kann und mag sich Diane Pernet nicht mehr. Sie setzt Trends, aber sie rennt ihnen nicht mehr hinterher.
Lufthansa Woman’s World September 2018
Fotos Stephanie Füssenich