Inseln, besonders solche mit tropischem oder subtropischem Klima, sind für mich als Strandlangläuferin, wandelnde Solarzelle, Urlaubsfaulpelz und Freundin der Unterwasserbevölkerung schon naturgemäß Lieblingsorte.Bereits der zufällige Blick auf einen schnöden Bildschirmschoner, dessen Motiv mit den herkömmlichen Klischees spielt, löst entsprechende Schlüsselreize aus und entlockt mir ein tiefes Seufzen. Dennoch passt das Eiland, das meine persönliche Bestenliste anführt, nicht vollständig in das klassische Inselschema. Die Südinsel Neuseelands, die allein schon aufgrund ihrer Größe von 150 000 Quadratmetern das gängige Inselformat sprengt, erweiterte vor einigen Jahren auch die bei mir bis dato bestehende Vorstellung vom Paradies.Nun ist Neuseeland im Ganzen ein Traum: Geysire, die meterhohe Wasserfontänen ausstoßen, dampfend heiße Quellen, türkiesblaue Seen, Wale riesigen Ausmaßes, ausgelassen springende Delphine, brütende Pinguine – schwierig, sich da hervorzutun. Doch auch Superlative sind bekanntlich relativ. Mein Hotspot befindet sich am nördlichsten Zipfel der Südinsel, ist touristisch betrachtet nur bedingt spektakulär und zeigt seinen Charme eher im Detail: Der Farewell Spit ist eine schmale, in einem langen Bogen in die Tasmanische See ragende Landzunge. Er wurde 1770 von keinem Geringeren als Captain James Cook so benannt, weil er das Letzte war, was der Entdecker bei seiner Abreise ins ferne Europa zu Gesicht bekam.Vor einiger Zeit wurde mir das Glück zuteil, in dieser Gegend, auch Golden Bay genannt, einige wundervolle Tage zu verbringen. Mein damaliger Freund und ich landeten auf der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit im The Innlet. Jonathan, der groß gewachsene, charismatische Inhaber des Backpackers, schart hier, in einem großzügigen Farmhaus, junge Gäste aus aller Welt um sich. Nach dem ersten gemeinsamen Kochen und einem Abend am knisternden Kamin fühlten wir uns als Teil der Familie. Die Terrasse unseres Zimmers führte direkt in den üppig bewachsenen Garten. Als ich vor dem Zubettgehen auf die Holzveranda trat und der Geruch des feuchten Grases mir entgegenschlug, nistete sich ein Glücksgefühl bei mir ein, das anders war als das Glück, das ich von zu Hause kannte. Es schaute nicht nur kurz vorbei, sondern blieb. Es schien zu diesem Ort zu gehören wie die Schafe zu den sattgrünen Weiden.In den folgenden Tagen erkundeten wir die Gegend. Wir kayakten mit Jonathan in den Mangroven des Whanganui-Regenwaldes, schauten am Wharariki Beach den gähnenden Robben und Seelöwen tief in den Schlund und ritten über die grünen, windigen Hügel des Puponga Farm Park, wo sich der lang gestreckte Sandfinger des Farewell Spit immer wieder immer ins Blickfeld schob. So wurde die weiße Landzunge für mich zum klassisch-romantischen Sehnsuchtsort, zum Glückssymbol schlechthin.Der Abschied vier Tage später fiel uns schwer – aber wir hatten ja noch so viel vor. Und natürlich möchte ich die schönen Orte, die wir nach der Golden Bay in Neuseeland besuchten, in meiner Erinnerung nicht missen. Auf dem Rückflug von Christchurch nach Los Angeles gelang es mir, einen Fensterplatz zu ergattern. Bevor wir Kurs auf den Pazifik nahmen, konnte ich noch eine gute Minute den Farewell Spit betrachten. Aus der Vogelperspektive schien die grüne Südinsel Neuseelands an einem feinen, weißen Haken aus Sand zu hängen. Ich verabschiedete mich in Ruhe, um wie seinerzeit James Cook zu versprechen: Farewell. Ich komme wieder.
The Weekender
Ausgabe 21
2016