Die kalifornische Bay Area ist für ihren fruchtbaren Boden bekannt, und das gilt nicht nur in Bezug auf Wein, Obst und Gemüse. Auch High Technology und neue Food-Trends gedeihen hier bestens. Denn zum einen leben im Großraum San Francisco dank des nahe gelegenen Silicon Valleys viele technikaffine Menschen. Auf der anderen Seite zeugen trendweisende Restaurants von der traditionsreichen kulinarischen Innovationskraft der Gegend. Beispielsweise das Chez Panisse in Berkeley, wo die legendäre Alice Waters die Slow-Food-Bewegung mitbegründete.
In diese Tradition reiht sich auch Tinker Kitchen ein – ein Projekt, das Technologie und Kulinarik verbindet und beweist, dass in der Area neue Denkansätze tatkräftig in die Realität überführt werden. Tinker Kitchen, übersetzt „Die Bastelküche“, ist ein gemeinsamer Workspace für Kochbegeisterte. Vom technikverliebten Laien bis hin zum Profi können sie hier mithilfe von Spezial-Equipment Koch-Experimente unternehmen, die ohne die Hightech-Ausstattung schlichtweg unmöglich wären.
Ein Combi-Ofen deutscher Machart, in dem Hitze, Feuchtigkeit und Umluft unabhängig voneinander reguliert werden können, eine Nudelpresse, eine Zentrifuge, um Flüssigkeiten zu extrahieren, ein Kaffeeröster, ein Niedrigtemperatur-Garer, ein Dehydrator, Wok-Kochflammen, mehrere Schokoladen- und verschiedene Arten von Eismaschinen bilden den Grundstock der Profi-Ausstattung. Ein Rotationsverdampfer, ein Destillationsgerät also, soll noch hinzukommen. Das ist schon eine Menge Elektro-Mobiliar, zumal die meisten Geräte für Großküchen konzipiert und somit entsprechend dimensioniert sind. Dennoch bleibt auf den knapp 160 Quadratmetern des Workspaces noch genügend Platz zum gemeinsamen Dinieren, das war Voraussetzung bei der Suche der Location.
Auch die Lage an der 22nd Street im Mission District ist bewusst gewählt. Der Mission District ist das kreative Herz von San Francisco, und die Valencia Street gleich an der nächsten Ecke dessen Hauptschlagader. Ebenfalls nur wenige Schritte entfernt: der Mission Mercado Bauernmarkt, der lokale Produkte anbietet.
„Tinker Kitchen ist ein ‚Open Space‘, unsere Kunden sollen ganz unkompliziert hereinschneien.“ Gründer Dan Mills ist nicht nur leidenschaftlicher Koch, sondern als ehemaliger Programmierer auch erklärter Tech-Fan. „Ich bin ein Nerd“, gibt er lachend zu. „Prozesse sind für mich schon von Berufs wegen mindestens genauso interessant wie die Endergebnisse. Daher rührt auch meine Passion für High-End-Küchengeräte.“
Das Prinzip auf dem kulinarischen Spielplatz heißt Learning by Doing. Ob es um die Kombination der Zutaten geht, beispielsweise das Ersetzen von Wasser durch alternative Ingredienzien bei der Zubereitung von Pastateig, oder um die Verwendung von ungewöhnlichen Hilfsmitteln wie flüssigem Strickstoff – das Experimentierfeld ist unendlich. „The sky is the limit“, sagt Dan Mills und freut sich schon auf die Ideen, die zukünftig in seiner neuen Kochgemeinde entstehen werden.
Für 30 Dollar am Tag steht Neugierigen die gesamte Technik-Range zur Verfügung und sie dürfen noch einen Gleichgesinnten mitbringen. Wer die Geräte täglich und ganz flexibel nutzen möchte, kann das für einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von 125 Dollar tun. Für diese Community werden die stattfindenden Events und Kurse auch zu speziellen Konditionen angeboten. Größere Gruppen bis 40 Personen können auch das ganze Etablissement mieten und hier beispielsweise Teambuilding betreiben – solche Maßnahmen sind im benachbarten Palo Alto ja nicht unüblich.
„Öffentliche geteilte Workspaces, in denen kommerziell gekocht werden kann, gibt es bereits“, erklärt Dan Mills. Er jedoch möchte bewusst einen unkommerziellen Rahmen schaffen. „Profiköche sind willkommen, wenn sie etwas ausprobieren, für sich persönlich experimentieren möchten, aber Serien von verkaufsreifen Produkten sollen bei uns nicht entstehen. Wir wollen Leute zusammenbringen, die Lust haben, die ständig wachsenden technischen Möglichkeiten auf unkommerzieller Ebene auszuloten. Das macht in der Gruppe, in der man sich gegenseitig inspiriert und hilft, mehr Spaß als alleine.“ Damit dieser Spaß weder durch technische Hindernisse noch durch lästiges Aufräumen oder Spülen getrübt wird, steht Personal bereit, das bei Fragen berät oder ganz praktisch unterstützt. Und der Service geht sogar noch weiter: Gegen eine kleine Gebühr können Lebensmittel in den Regalen und Kühlschränken von Tinker Kitchen gelagert werden, und auf Wunsch erledigt man sogar die Einkäufe für die Kundschaft.
Geboren wurde die Idee im Jahr 2015. „Ich versuchte händeringend, ein weiteres Hightech-Küchengerät in meinem Wohnzimmer unterzubringen“, erzählt Dan Mills. Damit sollte endlich Schluss sein. „Aber zugegeben, ich hatte es mir leichter vorgestellt. Ich dachte, ich kaufe einfach ein paar Küchengeräte und miete einen entsprechenden Raum – und das ist es dann.“ Da hatte Dan die Rechnung jedoch ohne die städtischen Behörden gemacht, die ihm noch einige bürokratische Umwege aufzwangen. Und auch das nötige Umfeld zu schaffen, sprich: entsprechend leistungsfähige Gas- und Stromleitungen installieren zu lassen, nahm Zeit in Anspruch.
Drei Jahre später und nach einem Investment von 450 000 Dollar ist Tinker Kitchen nun in diesem Herbst an den Start gegangen. Das meiste Geld steuerten Dans Familie und seine Freunde bei. Dank einer Kickstarter-Crowdfunding-Kampagne konnte er aber auch selbst 20 000 Dollar Kapital einbringen. Damit läuft nun Dans bislang größtes Experiment. Spannend wird sein, ob er in San Francisco genug Gleichgesinnte findet, um seine Idee zum Fliegen zu bringen. Doch wenn nicht hier, wo dann?
KTCHNrebel
November 2018