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Zwischen den Welten

Fashion / Travel

Christina Martini lebt mit ihrer Familie und einer Schar von Tieren auf einer Olivenfarm auf Korfu. Auf dem nordgriechischen Eiland entwickelt die Mitbegründerin und Kreativdirektorin von Ancient Greek Sandals ihre ikonischen Schuhe, die von Göttinnen und endlosen Inselsommern erzählen.

An einem frühen Morgen, an dem die Luft noch feucht und kühl ist, wandert Christina Martini den steilen felsigen Pfad zu den Zwillingsstränden Porto Timoni hinab. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, die malerische Doppelbucht im Nordwesten Korfus zu erreichen: entweder zu Fuß von Afionas aus, einem der ältesten Dörfer der Insel, oder per Boot. Martini, die ein olivgrünes Hemd über einer ausgefransten Jeansshort trägt, hat sich heute für den Landweg entscheiden. Rechts und links des Weges wachsen wilder Thymian, Salbei und Oregano. Je höher die Sonne steigt, desto intensiver wird ihr ätherischer Duft. Ab und zu bleibt Martini stehen, um die Aussicht auf das Ionische Meer zu würdigen. „Ich bin ein Stadtmensch! (I am a city girl)“, habe sie ihrem Mann, dem Produktdesigner Apostolos Porsanidis-Kavvadias zunächst entgegnet, als dieser ihr vorgeschlagen habe, Paris den Rücken zu kehren, erinnert sich die Mitbegründerin und Kreativdirektorin von Ancient Greek Sandals lachend. „Und nun leben wir schon seit 15 Jahren auf der Insel!“ Nach Athen, wo sie und ihr Mann aufgewachsen sind und wo sich der Sitz ihres Unternehmens befindet, reist sie nur noch zweimal im Monat.

Auch wenn es heute Morgen schwer vorstellbar scheint – die Entscheidung für Korfu fiel ihr damals nicht leicht. Denn was ihre Karriere betraf, war Martini bereits auf dem Olymp angekommen. Acht Jahre lebte sie in Paris, sechs davon arbeitete sie als Designerin für Louis Vuitton und entwickelte Damenschuhe für die Luxusmarke, bevor Balenciaga sie abwarb. Es folgte eine zweijährige Zusammenarbeit mit Nicolas Ghesquière, für den sie ebenfalls die Damenschuhkollektion entwarf. „Ich war 33, als ich mit Stefanos schwanger wurde. Apostolos arbeitete zu jener Zeit als Produktdesigner bei der Architektin Rena Dumas, der Frau des Hermès-Direktors Jean-Louis Dumas. Er hatte die Idee, eine Auszeit auf Korfu zu nehmen.“ Martini ist an einen Felsvorsprung getreten. Unmittelbar unter ihr die beiden türkisblauen Buchten, die lediglich ein knapp fünfzig Schritte breiter Landstreifen voneinander trennt. „Ist es nicht traumhaft? Wir waren zuletzt mit den Kindern hier. Wenn man den Tag unten am Strand verbracht hat, kann man sich von einem Boot wieder abholen lassen.“ Nun sind es nur noch wenige Wegkehren bergab bis zu dem natürlichen, mit niedrigem Buschwerk bewachsenen Steg, der Zugang zu beiden Stränden bietet. Der Strand nach Osten ist der großen Nachbarbucht Agios Georgios zugewandt, hier herrscht heute nahezu Windstille. Auf der gegenüberliegenden Seite weht eine frische Brise. Christina Martini entscheidet sich für den westlichen Strand und lässt sich auf einem Felsen nieder, der in der Mitte der Bucht nahe am Wasser steht.

„Ich habe Apostolos am Londoner Camberwell College of Arts über eine gemeinsame Freundin kennengerlernt. Ich studierte dort Modedesign, er Produktdesign, später wechselte ich zu Schuhdesign und auf das Londoner Cordwainers College“, erzählt Martini und bindet ihre windzerzausten schulterlangen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. „Korfu war für ihn ein Ort, mit dem viele Kindheitserinnerungen verbunden waren. Sein Großvater, ein Orthopäde, hatte in den 1950er Jahren auf Korfu 20 Hektar Land gekauft und die Familie verbachte ihre Sommer hier.“ Als 2009 die Gründung einer eigenen Familie im Raum stand, habe ihr Mann den Wunsch gehabt, dorthin zurückzukehren. Martini stimmte einer einjährigen Babypause auf der Insel zu. „Und in diesem Jahr traf ich Nikolas.“ Nikolas Minoglou, Spross einer Familie von Schuhproduzenten, wollte eine Sandalenkollektion lancieren. „Ich bin selbst großer Fan der traditionellen griechischen Lederschuhe und so entwarf ich rund drei Dutzend Modelle. Maria Lemos, die Inhaberin des Showrooms Rainbowwave, glaubte an uns und zeigte sie 2012 in Paris. Wir verkauften auf Anhieb 6000 Paar.“ Martini nimmt einen Schluck aus ihrer Wasserflasche.

Inzwischen besteht die Kollektion aus 150 handgefertigten Modellen für Männer und Frauen, in jeder Saison entwirft die Griechin drei Kollektionen mit rund 60 neuen Styles. Eine goldene Schnalle, die den Flügel des Gottes Hermes zeigt, ist ihr Erkennungszeichen geworden und steht für einen Look, der sich zwischen Minimalismus und Bohème bewegt. Bis auf wenige Ausnahmen haben die Sandalen flache Ledersohlen. Basis ist vegetabil gegerbtes italienisches Kuhleder, das in Natur- und Cognacfarben, in Creme und Weiß, aber auch in Schwarz und Brauntönen eingesetzt wird. Die eleganten Varianten sind aus metallisch schimmerndem Leder. Alle Schuhe werden in drei Produktionsstätten in der Nähe von Athen hergestellt.

Die griechische Mythologie, die reiche Geschichte des Landes und dessen künstlerisches Erbe, antiker Schmuck und die traditionellen Handwerkstechniken liefern der Designerin einen steten Fluss an neuen Inspirationen. „Zum zehnjährigen Jubiläum 2022 untersuchte ich gemeinsam mit der britischen Beraterin Natalie Kingham die Sandalen von weiblichen griechischen Statuen, die sich im Ausland befinden. Es war nicht immer leicht, diese marmornen Schuhe einer zeitgemäßen Funktionalität zuzuführen.“ Martini grinst. Hilfreich war ihre praktische Erfahrung, die sie nach dem Studium bei ihrem ersten Job sammelte, als sie zweieinhalb Jahre lang für eine Schuhfirma im Veneto arbeitete. Dennoch: Eine international erfolgreiche Kollektion mit Firmensitz und Produktion in Athen – und sie auf der Insel? Geht das denn? „Erstaunlich gut!“, erklärt Martini und klopft sich den Sand von den Shorts, um noch vor der Mittagshitze den Aufstieg zu beginnen. „Ich habe von Anfang an von Korfu aus gearbeitet. Wir haben unsere Firmenstruktur und die Prozesse also an diese Umstände angepasst.“

Ihr Studio in Korfu-Stadt im dritten Stock eines Prachtbaus aus dem 19. Jahrhundert liegt im malerischen Stadtteil Mouragia direkt am Meer und  ist nur 15 Autominuten von ihrem Zuhause entfernt. Der Balkon ihres himmelblau getünchten Arbeitszimmers geht hinaus auf die der Stadt vorgelagerte Insel Vido, vor ihrem Fenster zeigt ein Schwarm Schwalben Flugkunststücke. „Ich habe eine Fünf-Tage-Woche, komme täglich für sieben oder acht Stunden hierher.“ Das Studio, im Grunde eine herrschaftliche Wohnung, die sich über zwei Etagen erstreckt, ist ihr Refugium – hier ist sie ungestört. Eine Assistentin hat ihren Schreibtisch im Nebenraum. „Meist verlasse ich das Studio am Nachmittag gegen 17 Uhr“, sagt Martini. Sei es, um mit ihrer Tochter Daphne, der Zweitgeborenen, schwimmen zu gehen oder um eines ihrer Lieblingslokale in den italienisch anmutenden Gassen von Korfu-Stadt zu besuchen. Aber die warme Jahreszeit gehört den Stränden: San George im Norden, Marathias im Süden, Glyfada im Westen – oder der am nächsten zu ihrem Zuhause gelegene Kiesstrand Barbati.

Die Olivenfarm der Familie befindet sich im nördlichen Teil der Insel, in Tzavros, etwa zehn Kilometer von Korfu-Stadt entfernt. Hier haben Martini und Porsanidis-Kavvadias sich ein Paradies geschaffen, das sie, Stefanos und Daphne, mit einer Schar von Tieren teilen: Drei Hähne und 40 Hühner schreiten das Anwesen täglich in weihevollen Prozessionen ab, 13 Katzen pirschen durchs hohe Gras der Olivenhaine, zwei Cane Corso, Blondie und Baba, kontrollieren wie gutmütige Cops den Garten und das weiß gekalkte Farmhaus. „Wir haben das Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, das von den Großeltern als Sommerhaus genutzt wurde, umgebaut und den Stall und ein Lagerhaus für Übernachtungsgäste renoviert. Die 200 Jahre alte Olivenpresse aus Holz und Stein, die noch vom Vorbesitzer stammt, ist zwar nicht im Einsatz, inspirierte meinen Mann jedoch dazu, sein eigenes Olivenöl zu produzieren“, sagt Martini. Die inzwischen mehrfach preisgekrönten polyphenolreichen Portola- und Lianolia-Öle verkauft Porsanidis-Kavvadias unter dem Namen seines Großvaters Dr. Kavvadia.

Der Mangold und die Zucchini, die am frühen Abend mit gefüllten Weinblättern, Artischockenherzen und eingelegten Sardinen, mit Fava und gegrillten Auberginen auf den Tisch kommen, stammen aus dem eigenen Gemüsegarten. Wohin reist man in den Urlaub, wenn man an solch einem idyllischen Ort lebt? „Wir fliegen nach Tokio. Das wird die Kinder beeindrucken“, sagt Martini mit einem Lächeln und lässt ihren Blick über die Wiesen schweifen. Hier und da dringt ein sachtes Leuchten durch die Dämmerung. Die Hochzeitssaison der Glühwürmchen hat begonnen.

Konfekt,
Sommer 2024