Kennen Sie Kastrup, den Flughafen von Kopenhagen? Große runde Lampenschirme verbreiten warmes, gedämpftes Licht. Dunkles Parkett, gepolsterte Sessel und Liegen, klassisches dänisches Design vermitteln gediegene Behaglichkeit. Kastrup ist wohl einer der wohnlichsten Flughäfen der Welt. Und seit Dezember 2017 noch ein bisschen lauschiger: Im Terminal 2 wurde das sogenannte Atelier Relaxium eröffnet, mit Polstermöbeln, Teppichen und Leuchtobjekten in allen Farben des Regenbogens. In der heimeligen Sofalandschaft, deren Farbverlauf an einen Sonnenuntergang über den Wolken erinnert, hätte ich vor lauter Wohlgefühl vor kurzem um ein Haar meinen Flug verpasst.
Wenn es darum geht, einen Ort annehmlich, zu Dänisch ‚hygge‘ zu gestalten, haben die Skandinavier die Nase traditionell vorn. Fast könnte man meinen, sie hätten die Gemütlichkeit selbst erfunden. Immerhin hat hygge‘ von Dänemark aus die Welt erobert und ist zum internationalen Schlagwort avanciert – für das es bezeichnenderweise keine wörtliche Übersetzung gibt. ‚Hygge‘ meint das Eingebettetsein im Kreis der Lieben. In einer gemütlichen Umgebung und in herzlicher Atmosphäre.Dass es inzwischen ein gleichnamiges deutschsprachiges Magazin gibt, lässt tief blicken: Die Herausgeber bringen mit ihrem Claim „Hygge – einfach glücklich sein“ eine weit verbreitete gesellschaftliche Sehnsucht auf den Punkt.
Doch woher kommt dieses Bedürfnis nach Aufgehobensein, die neue Lust an der Gemütlichkeit? Denn Kastrup ist kein Einzelfall. Auch in London Heathrow und München Erding empfangen den Transitreisenden inzwischen bequeme Liegesessel. Und sogar im in die Jahre gekommenen Flughafen von Rom Fiumicino wartet man wie einst Kaiser Nero halb liegend darauf, an sein nächstes Ziel gebracht zu werden. Die Lounge des Flughafens Strigino der westrussischen Millionenstadt Nischni Nowgorod gilt laut Archdaily als eine der schönsten weltweit. Man kann also von einem globalen Trend sprechen, bei dem die sozialen Grenzen verwischen. Denn nicht nur in den Business Lounges werden heutzutage die Füße hochgelegt, auch die Reisenden der Economy dürfen sich vor Abflug entspannen.
Annehmlichkeit erfährt offensichtlich eine Demokratisierung. Der Wunsch und der Anspruch, sich in jeder Lebenssituation wohlzufühlen, zieht sich durch alle Bevölkerungsschichten und sämtliche Lebensbereiche. Neben Flughäfen verändern auch Hotellobbys, Wartezimmer und Büroräume ihr Gesicht. Denn auch am Arbeitsplatz ist es nicht länger nur den Mad Men der Vorstandsetagen vorbehalten, ein kurzes kreatives Päuschen auf dem Polstermöbel einzulegen. Vielmehr hält der neue Komfort in allen Abteilungen Einkehr. Eine Entwicklung, die dem Zeitgeist und mehr noch der veränderten Arbeitsrealität geschuldet ist.
So hat beispielsweise die Verlagsgruppe des Handelsblatts Walter Knoll mit der Einrichtung ihres neuen Düsseldorfer Headquarters beauftragt. Im Zuge der Transformation von der klassischen Tageszeitung zum agilen Medienhaus sind neue Anforderungen an die Flexibilität der Mitarbeiter entstanden. Geblieben ist der hohe Qualitätsanspruch, den das Unternehmen an die Produkte des Hauses hat und den man seiner Belegschaft auch durch die hochwertige Ausstattung vermittelt. Kommunikative Open Spaces und abgeschirmte Silent Rooms – je nach Aufgabenstellung und persönlichem Bedürfnis switchen die Medienmacher flexibel zwischen Kollaboration und Konzentration. Für die Mediengruppe ist das neue Haus ein wichtiger Schritt und Vorstoß ins Terrain der neuen Arbeitswelten.
New Work ist auch das Stichwort bei jüngeren Unternehmen, wie dem rasant gewachsenen Telekommunikationsstrategen Sipgate, nur wenige Kilometer vom Hauptquartier der Handelsblatt Mediengruppe entfernt. Hier setzt man ebenfalls auf Komfort, genauer: auf Sofas. In vielen der gläsernen Büros findet sich ein knautschiges Sitzmöbel. Dass die Kollegen dem Sofasurfing durch die Glasscheiben beiwohnen können, ist Teil des Konzepts. Chillen gehört zum Kreativitätsprozess wie der Latte macchiato zum Morgenritual.
Der Arbeitnehmer des 21. Jahrhunderts hat ein neues Wertesystem etabliert. Mit dem Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit durch die mobile Kommunikation sind neue Ansprüche entstanden. Wenn ich mich im Büro nicht wohlfühle, arbeite ich dann nicht lieber von zu Hause aus? Eine neue Unternehmenskultur ist die Antwort auf diese Frage, auch wenn sie mancherorts noch unausgesprochen im Raum steht. An den Platz des Tischkickers, dem vormaligen Symbol einer veränderten Work-Life-Balance, ist das Sofa getreten.
Lange Tage und halbe Nächte in der Agentur zu verbringen, bis man nicht mehr sicher ist, ob sich die eigene Wohnung überhaupt noch rechnet, gehört nicht mehr ins Lebensmodell der Generation Y. Die Millennials haben miterlebt, wie mit der Dotcom-Blase viele Karriereträume platzten, und sie haben ihre Schlüsse daraus gezogen. „YOLO – You only live once“ ist nicht umsonst das geflügelte Wort der Digital Natives. Heute muss der Job ins Lebenskonzept passen, nicht das Leben ins Unternehmenskonzept. Das Sofa wird zum Sinnbild für Achtsamkeit und Stressvermeidung. Denn eines ist klar: Wohnlichkeit bis hin zur Gemütlichkeit hat nichts mit sich Gehenlassen zu tun. Im Gegenteil! Der Grund für den Wohlfühlanspruch liegt vielmehr in einem gewachsenen Körperbewusstsein.
Geschäftsmodelle und Arbeitswelten werden also in Frage gestellt – Freunde und Familie treten aus dem Schatten der Karriere und sind die Grundpfeiler eines veränderten Lebensstils. Auch Sharingkonzepte, Umweltbewusstsein und Konsumkritik haben zu einer mündigeren, kritischeren Arbeitnehmerschaft geführt. Wer hochqualifiziertes Personal sucht, tut gut daran, ein attraktives Ambiente zu bieten. Dr. Michael Kastner, Leiter des Instituts für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin, empfiehlt daher, Mitarbeiter in die Einrichtungsprozesse ihrer Arbeitsplätze mit einzubeziehen. Persönliches Mitspracherecht und etwas Gestaltungsspielraum erhöhten die Motivation spürbar, so der Mediziner und Psychologe.
Denn die New Work Spaces nutzen nicht nur dem Arbeitnehmer. Dort, wo es gelingt, das Office wohnlich zu gestalten, wo Selbstbestimmung am Arbeitsplatz großgeschrieben wird, bleibt auch die Nine-to-five-Mentalität zu Hause. Je geringer der Unterschied zwischen dem heimischen Sofa und der Bürocouch, desto größer die Motivation, noch eine Überstunde dranzuhängen – und umso besser die allgemeine Moral.
Und die sollte gestärkt werden. Die Zukunft, die in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts noch so verheißungsvoll vor uns lag – in jener Zeit, in der Kunststoff und kalt glänzendes Stahlrohr als das Nonplusultra galten und der Fortschrittglaube ewig wachsenden Wohlstand dank nie versiegender Ressourcen suggerierte –, konnte ihr Versprechen nicht einlösen. Börsencrashs und Flüchtlingsströme, politische Radikalisierung und religiös begründeter Terrorismus schüren Ängste. Im Zeitalter der Industrie 4.0 gehört Disruption zu den allgemeinen Erfahrungswerten. Mit entsprechenden sozialen Auswirkungen. Denn nun, da die Digitalisierung unser Leben zunehmend verändert, der Wandel nicht selten Verunsicherung hervorruft, sehnen wir uns nach analogen Erlebnissen, nach Oberflächen, die nicht Bildschirm und Tastatur heißen, nach natürlichen Materialien, die uns sonst im Alltag immer seltener begegnen. Die elementaren Bedürfnisse von Körper und Geist zu befriedigen, das ist der Luxus im 21. Jahrhundert.
Dementsprechend wird auch die Zukunftsorientierung eines Unternehmens nicht mehr an seinem kühlen, futuristischen Mobiliar gemessen, sondern daran, ob man einen Well-Being-Manager beschäftigt oder nicht. Das bekannte Architekturbüro Foster + Partners, das in London die spektakuläre Europazentrale des Medienunternehmers und Politikers Michael Bloomberg entwickelt hat, versteht sich auch als „Workplace Consultancy“, als Arbeitsplatzberater. Für Bloomberg, seit jeher Verfechter des ‚Open plans‘, des Großraumbüros, haben Lord Norman Foster und seine Kollegen in jahrelanger Recherchearbeit Trittschall und Umgebungsgeräusche eliminiert und so eine schier grenzenlose Großraum-Ruhezone geschaffen. Riesige Aquarien, Snackbars und Polsterinseln (?) geben den Büroetagen des zehnstöckigen Gebäudes, auf denen jeweils rund 700 Mitarbeiter beschäftigt sind, ein wohnliches Ambiente. Die These im Blick, dass Menschen besonders effizient arbeiten, wenn sie von Naturmaterialien umgeben sind, setzte der verantwortliche Architekt Michael Jones auf Holz und Stein. @Ralf und Hiltrud: Hier könnte ein Zitat von Markus Benz stehen, das die Zusammenarbeit mit Michael Bloomberg beschreibt und die natürlichen Oberflächen der Walter Knoll Möbel erwähnt.
Und hat nicht Jeff Bezos, Bloombergs Landsmann und wie dieser als großer Visionär bekannt, gerade 40 000 Pflanzen angeschafft, um seiner Belegschaft in Seattle einen Wellnessdschungel anzulegen? Die Signale sind klar: Die Zahl der Bürooasen wird zunehmen. Mit steigenden Anforderungen in der Arbeitswelt wächst auch die Notwendigkeit, für das Wohlergehen der Angestellten zu sorgen.
In seinem jüngsten Werk „Jäger, Hirten, Kritiker“ verweist auch der Philosoph Richard David Precht auf die Chancen der Digitalisierung. Unattraktive Arbeit an menschenfeindlichen Orten könne zukünftig von Robotern erledigt werden, die entstandenen Freiräume könnten für gesellschaftlich wichtige Aufgaben und die Entwicklung besserer Arbeitswelten genutzt werden. Diese Welten zu gestalten, eine der wohl spannendsten Aufgaben der nächsten Dekaden, steht nun auf unserer Agenda.
Walter Knoll Characters
Oktober 2018