Promiauflauf und Blitzlichtgewitter. Ewige Sonne und Bling-Bling-Fashion. Körperfetischismus und Lamborghinis. Kaum eine Stadt, die klischeebehafteter wäre als Los Angeles. Und tatsächlich werden die Vorurteile immer wieder bestätigt. Mitunter erscheint die poshe Ausstrahlung der L.A.-Locals unsympathisch verspannt. Jedoch entdeckt man bei genauem Hinsehen oft ein relativierendes Augenzwinkern. Denn selbst wenn der kalifornische Lifestyle bisweilen in Glamourkitsch zu ertrinken droht: So wahnsinnig ernst nimmt sich hier keiner – abgesehen von den Verkehrspolizisten vielleicht.
Im Gegenteil. Los Angeles hat sogar ein zweites Gesicht, welches dem verbreiteten Bild geradezu diametral entgegengesetzt ist. Als wollte die Metropole mit ihren fast vier Millionen Einwohnern der Welt beweisen, dass sie nicht nur die Rolle des oberflächlichen Glamourgirls beherrscht, sondern ebenso viel Potenzial als Dorfschönheit hat. Bauernmärkte, Handwerksläden, Vorgartenidylle, Hippies, Nachbarschaftstratsch: Auch das ist Los Angeles. Und wahrscheinlich – glaubt man den Hipstern, deren angesagteste Treffpunkte sich an scheinbar unbedeutenden Kreuzungen im Irgendwo-Nirgendwo befinden – ist jenes L.A sogar das L.A. der Zukunft.
Beispielhaft für diese Entwicklung ist die Silver Lake Junction, an der sich nach Meilen des parallelen Verlaufs der legendäre Sunset Strip und der Santa Monica Boulevard kreuzen. Ein cooles Café, ein hübsches Bistro-Restaurant, ein toller Fashionstore, ein legendärer Barausstatter und eine ökologische Saftbar – es sind kaum eine Handvoll Etablissements, die hier das bunte Volk in Scharen anlocken. Schon hundert Schritte weiter, egal in welche Himmelsrichtung, schlummern Wohngebiete in der Sonne. Und so verhält es sich auch an den anderen Hot Spots der knapp 1.300 Quadratkilometer großen Stadt, in Los Feliz, Echo Park, Downtown und dem Arts District. Überall zeigt sich das erfrischende Bild von Überschaubarkeit und gemütlicher Kleinstadtcommunity und vermittelt das Gefühl, dass sich alle kennen. Wer hätte das gedacht?
Modisch gesehen spielt die Denim-Industrie in L.A natürlich die Hauptrolle: 7 for all Mankind, Guess, Hudson, Citizens of Humanity, Adriano Goldschmied – sie alle haben hier ihre Wurzeln. Nicht ohne Grund: Man kleidet sich gerne casual. Jeans und Flip-Flops – sicher prägt vor allem die kalifornische Sonne die Grundausstattung der hiesigen Garderobe. Selbst modischere lokale Labels verzichten weitgehend auf eine Winterkollektion. Dabei lautet das Gebot der Stunde: ‚Made in the US‘. Auch die Nähe zu Mexiko und seinen traditionell geprägten, sehr begabten Handwerkern macht es südkalifornischen Brands leicht, aufwändig gearbeitete Produkte in toller Handmade-Optik zu fertigen. In Zeiten des DIY-Looks ist das ein klarer Heimvorteil.
Der Gegensatz zwischen dem glamourösen L.A. der Klatsch-Magazine und den gemütlichen Neighbourhoods der Do-it-yourself-Bewegung ist allerdings nur eine von unzähligen Facetten dieser Megacity. Alle aufzuspüren, dazu hätten J’N’C-Chefredakteurin Ilona Marx und der Fotograf Rainer Rudolf ihren Aufenthalt wohl um unbestimmte Zeit verlängern müssen. Was ihr Guide Ihnen bietet? Den optimalen Einstieg für eine persönliche Vor-Ort-Recherche!
Ausgewählte Texte aus dem City Guide
Es ist ein bisschen verrückt. Eine Metropole mit knapp vier Millionen Einwohnern – und der hippste Ort ist eine unscheinbare Straßenkreuzung mit eher provinziellem Flair. An der Silver Lake Junction führt für die L.A.-Hipstercrowd kein Weg vorbei. Dabei tummeln sich an der Kreuzung des West Sunset Boulevards und des Santa Monica Boulevards genau genommen nur ein gutes Dutzend Shops und Cafés. Dennoch gibt sich hier das Who’s who der Mode- und Künstlerszene die Klinke in die Hand. Einer der Dreh- und Angelpunkte der Kreuzung ist der Mohawk General Store, der von dem weitgereisten, modebegeisterten Paar Bo und Kevin Carney betrieben wird. Die Geschichte der beiden liest sich wie eine Hollywood-Romanze und ist fast zu schön, um wahr zu sein. Treffen sich zwei in Florenz. Er: amerikanischer Modefachmann mit eigenem Schuhlabel auf Produktionsreise. Sie: koreanische Studentin an der örtlichen Modeschule. Sie verlieben sich, ziehen gemeinsam in seine Heimat und eröffnen ein Geschäft in L.A. Das Business boomt, zum ersten Laden kommt ein zweiter und dritter, die Shops genießen Kultstatus. Bo und Kevin beziehen zwei Ladenlokale an der Silver Lake Junction und sind somit an einer der coolsten Ecken der Stadt stationiert. Ihr guter Geschmack und die hochklassige Auswahl spülen ihnen die besten Kunden ins Geschäft. Eine Erfolgsstory also, auf deren Fortsetzung man zu Recht gespannt sein darf.
Den Beweis, dass Alchemie funktioniert, wollten Lindsay und Raan Parton im aufstrebenden Art District erbringen. Und tatsächlich haben die beiden Einzelhändler, die mit ihren Stores Alchemy Works und Apolis Tür an Tür residieren, das Talent, schöne Dinge zu Geld zu machen, sie also sprichwörtlich zu versilbern. Dass sie privat ein Paar sind, erklärt die Homogenität ihres Portfolios. Dennoch verfolgen beide Stores unterschiedliche Konzepte, so dass sie sich eher ergänzen als sich zu kannibalisieren. Apolis, unter der Leitung von Raan und seinem Bruder Shea, versteht sich als Marktplatz für den Weltbürger – insbesondere jenen männlichen Geschlechts. Als sozial motivierte Lifestylemarke möchte man weltweite Gemeinschaften fördern und durch faire Produktionsbedingungen das Leben benachteiligter Werktätiger verbessern. Ohne diesen theoretischen Überbau, dafür mit hedonistischeren Produkten wartet Lindsay bei Alchemy Works auf. Highlight des aktuellen Sortiments ist ein dunkelblauer Fiat Abarth von 1959, laut Insiderinformation in den USA momentan der Einzige seiner Art. Die stolzen 70.000 Dollar, die Lindsay dafür aufruft, wird sie wohl auch bekommen. Erst kürzlich hat Leonardo DiCaprio reges Interesse bekundet. Mode, Fahrräder, Interior-Design-Gegenstände, Fotobände – also alles, was zu einem guten Concept Store gehört – runden das Portfolio der ‚Alchemistin‘ ab.
Vor der Tür der populärste Abschnitt des Sunset Strip, auf der Rückseite des Hauses ein Millionen-Dollar-Blick über ganz Los Angeles – die drei nach Meinung der Immobilienhändler wichtigsten Kriterien (Lage, Lage und nochmals Lage!) erfüllt The Standard Hollywood mit links. Und auch wenn Ian Schragers Mondrian Hotel ein paar Schritte die Straße hinauf oder das legendäre Chateau Marmont schräg gegenüber mehr Glamour verströmen mögen – was Hipness angeht, können sie es mit dem Standard nicht aufnehmen. Architektonisch erinnert das Haus eher an ein Motel der 60s, ein Look, der auch in der Inneneinrichtung aufgegriffen und auf das Gesamtkonzept übertragen wurde. So ist das 24/7-Restaurant im Stil eines American Diners gestaltet. Dank seiner großzügigen Öffnungszeiten erfreut es sich bei den weitgereisten Gästen, die nicht selten mit ihrem Jetlag zu kämpfen haben, äußerster Beliebtheit. Das Publikum ist jung, international und illuster. Australische Models, deutsche Nachwuchsregisseure und skandinavische Indiebands geben sich hier die Klinke in die Hand. Retro-Futurismus bestimmt die Einrichtung der Zimmer, die – nicht gerade üblich in dieser moderaten Preiskategorie – entweder relativ groß, groß oder sehr groß sind. Diese Ausmaße erlauben auch gestalterische Wagnisse wie die dominanten Andy-Warhol-Drucke auf den Vorhängen. Die Zimmer zum Pool sind absolut zu favorisieren, haben sie doch alle einen Balkon und bieten einen fantastischen Panoramablick über Los Angeles. Downtown befindet sich übrigens ein weiteres Haus der Gruppe, dessen Dachterrasse ein zentraler Schauplatz des hiesigen Nachtlebens ist.
Kentucky meets California. Im Erdgeschoss des coolen Palihotels auf der Melrose Avenue befindet sich ein weiteres Kleinod der lokalen Gastroszene. Die Chefs Brian Dunsmoor und Kris Tominaga kombinieren auf erfrischende Weise Gerichte aus ihrer Südstaaten-Heimat mit europäischen Klassikern und zeitgenössischen amerikanischen Rezepten. ‚Country Food‘ nennen die beiden ihr kulinarisches Konzept, das sie auch auf die Einrichtung übertragen haben. Altmodisch gekachelte Wände, zusammengewürfeltes Blümchengeschirr, ein großer Holztisch in der Mitte des Raumes: Die Shabby-Chic-Ästhetik der Location passt hervorragend zur lässigen Haltung der Besitzer und des Personals. Eher wähnt man sich auf einer Privatveranstaltung als in einem kommerziellen Restaurant. Ein Gefühl, das die hippe Klientel im von Kommerz durchdrungenen Los Angeles offensichtlich schätzt. Und so brummt das The Hart and the Hunter bisweilen wie ein Bienenstock. Ein bisschen Geduld muss man manchmal also mitbringen, denn passenderweise folgen die Jungs der ‚Wer zuerst kommt, mahlt zuerst‘-Regel und nehmen keine Reservierungen entgegen.
J’N’C Magazine
Ausgabe 03/2014