„Im Radsport erlebst du wahrhaft große Momente. Ich hatte den Wunsch, mich in solchen Augenblicken auch gut angezogen zu fühlen.“ So beschreibt Simon Mottram, Gründer und CEO der Londoner Radsportmarke Rapha, die Motivation für sein Engagement im Sportbekleidungsbiz. 2004 warf der Marketingexperte gemeinsam mit zwei Angestellten die erste Handvoll Cycling-Styles ins Rennen. Seither ist viel Wasser die Themse heruntergeflossen.
Heute ist London ein Zentrum der globalen Radfahrkultur – das ist auch Mottrams Verdienst. Mit dem Elan eines Aficionados erschuf der Brite eine umfassende Erlebniswelt, ein Imperium: 450Angestellte beschäftigt er aktuell, 2016 wurden 48,8 (67?)Millionen GBP Umsatz gemacht, 2017 waren es 85 Millionen GBP. Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten von mehr als 30 Prozent sprechen ihre eigene Sprache.
Das Geheimnis seines Erfolgs? Mottram hat das Kunststück vollbracht, eine weltweite Community zu etablieren – ein Pfund, um das ihn viele Marken beneiden. Seine Idee, ‚Clubhouses‘ als Treffpunkte und Servicezentralen der lokalen Radfahrszenen zu eröffnen, die gleichzeitig als Flagships fungieren, kann schlichtweg als genial bezeichnet werden. 22 davon gibt es inzwischen weltweit. Der 2015 ins Leben gerufene Rapha Cycling Club RCC hat heute 13 000 Mitglieder. Darüber hinaus veranstaltet Rapha Events und organisiert exklusive Radsportreisen, die den Hype weiter befeuern.
Im August 2017 verkaufte der leidenschaftliche Amateursportler die Mehrheit der Firmenanteile für 200 Millionen GBP an die Investmentfirma RZC mit Sitz in Los Angeles. Hinter RZC stehen Steuart und Tom Walton, zwei finanzkräftige und ebenfalls fahrradverrückte Enkel des Walmart-Gründers Sam Walton.
SI traf den 52-jährigen Mottram im Rapha-Headquarter im Londoner Up-and-Coming-Viertel Kings Cross, um mehr über die Zukunftspläne des expandierenden Radsportlabels zu erfahren.
Ihre Marke übt eine starke Anziehungskraft aus. Wenn man die Bilder auf Ihrer Website sieht, möchte man selbst am liebsten sofort auf ein Fahrrad steigen. Was macht Rapha so attraktiv?
Die Marke ist attraktiv, weil der Sport verführerisch ist. Die Emotionen entstehen wie von selbst und sind sehr mächtig. Alles, was wir tun, ist, Menschen mit der Kultur, den Orten, den Charakteren des Sports zu verbinden. Es steckt einfach Wahrheit darin, ein Fahrrad zu fahren, deshalb funktioniert unser Modell.
Wie groß ist der Einfluss der Community?
Im Moment und auch in den nächsten zehn Jahren ist die Community ein ausgesprochen wichtiger Faktor. Und ich bin stolz, dass es uns gelungen ist, eine solche Community zu gründen. Nur ein Beispiel: Eines unserer weiblichen Mitglieder in London war ernsthaft krank, und ihre Freunde aus dem Club haben sie während dieser Zeit sehr unterstützt. Ich mag den Gedanken, dass eine Marke eine Gemeinschaft stiften kann. Das ist in meinen Augen auch so viel interessanter, als Bekleidung zu verkaufen. Erinnerungen und Freundschaften sind der Kitt: Erinnerungen an die aufregenden gemeinsamen Erlebnisse und die Freundschaften, die daraus hervorgehen. Jemand, der aus Sydney stammt, kann nach San Francisco ziehen, und trifft dort auf einen anderen Zweig der erweiterten Familie, sprich 1500 Gleichgesinnte. All das ist mehr wert als jedes Produkt. Bei uns geht es nicht um Likes, sondern eine echte, aktive, tiefgreifende Fangemeinde, die auch zugänglich ist. Und hier verläuft eine interessante Grenze, die wir immer ausbalancieren müssen: Leute wollen dem Club beitreten, möchten Teil davon sein, aber gleichzeitig muss die Mitgliedschaft etwas bedeuten, sie darf nicht zu beliebig werden. Das ist eine unserer Herausforderungen. Gerade wenn wir wachsen.
Stand die Idee eines Cycling Clubs schon bei der Gründung der Marke?
Unbewusst schon. Unsere Website hieß von Anfang an www.rapha.cc. Das CC für Cycling Club. Zehn Jahre nach der Gründung hatten wir eine große Fangemeinde, betrieben einige Clubhäuser, da war es nur logisch, auch einen Club zu gründen.
Wie viele Clubhäuser gibt es jetzt?
22. Tendenz steigend. Wir öffnen im Laufe diesen Jahres noch zwei weitere: eines in Palo Alto – die kalifornische Bay Area ist unser größter Absatzmarkt weltweit, noch vor dem Großraum London. Und ein weiteres in Washington D.C. Ziel ist es, zwei bis drei Häuser pro Jahr eröffnen. Das soll nicht zu schnell geschehen, aber ich sehe 30 oder 40 Städte, die für ein Clubhaus infrage kommen. München zum Beispiel, aber auch Hamburg, Zürich, Wien, Paris, Madrid, Barcelona und Brüssel.
Birgt der Club selbst Wachstumspotenzial?
Ja, unbedingt. Die Clubs in den eben genannten Städten könnten 500 oder 1000 Mitglieder haben. Das sind genug, um eine lebendige Gemeinde zu bilden, aber nicht zu viele, um 20 oder 30 Prozent davon für ein Event zusammenzutrommeln. Es gibt meiner Meinung nach 50 bis 100 Städte weltweit, die das Potenzial haben. Wir könnten also auf 50 000 Club-Mitglieder kommen. Das ist nicht unser erklärtes Ziel, aber es sollte machbar sein.
Wie hat sich die Wahrnehmung des Radrennsports entwickelt? Es gab ja einige Skandale in den letzten Jahren …
Die Doping-Skandale, insbesondere der Blutdoping-Skandal ‚Operacion Puerto‘ im Jahr 2008, haben dem Image des Radrennsport sehr geschadet, nicht jedoch unserer Marke. Leute, die gerne Rad fahren, tun das weiterhin und suchen sich andere Helden: Den Nachbarn beispielsweise, der in acht Tagen nach Istanbul radelt und unglaublich fit ist. Aber dennoch wären wir froh, wenn die Negativschlagzeilen ein Ende hätten: Wir haben gerade gemeinsam mit ein paar Akademikern einen Report über die Zukunft des Radrennsports geschrieben, ‚The Rapha Roadmap‘, den wir spätestens im Sommer veröffentlichen wollen. Darin listen wir 15 bis 20 Dinge auf, die unserer Meinung nach getan werden müssen, um das Image des Radrennsports zu verbessern. Bei dieser Gelegenheit werden wir auch unser neues Engagement als Sponsor bekanntgeben, das stellvertretend für unseren veränderten Ansatz steht. Ich möchte noch nicht zu viel verraten, aber es geht nicht nur um Männer-, sondern auch um Frauensport und es wird Profiteams einschließen. Der Fokus soll jedoch nicht darauf liegen, wer als Erstes in Siegerpose über die Ziellinie fährt.
Von 2013 bis 2016 war Rapha Sponsor des britischen Sky-Teams. Warum wurde die Zusammenarbeit beendet?
Aus oben genanntem Grund. Die Zeit mit Sky war sehr aufregend, hat uns viel Aufmerksamkeit beschert, unsere Technologie vorangetrieben, aber das Image des Sports hat durch die letzten Skandale stark gelitten. Darüber hinaus war alles sehr teuer. Wir hatten allein sieben Mitarbeiter, die Vollzeit für das Sky-Team gearbeitet haben. Das ist ein großes Zugeständnis. Es wäre zwar einfach gewesen weiterzumachen, genauso wie es einfach wäre, unsere Bekleidung in Radgeschäften zu verkaufen oder in Radmagazinen zu werben. Aber wir haben uns entschieden, all das nicht zu tun.
Raphas größte Fangemeinde sind bis dato die ‚Mamils‘, die Middle Aged Men in Lycra. In welchen Zielgruppen soll das geplante Wachstum stattfinden?
Wir wollen zukünftig mehr Frauen erreichen. Außerdem liegt uns daran, auch jüngere Menschen zu begeistern. Dazu werden wir unseren ‚Tone of Voice‘ etwas ändern. Wir sind bis dato sehr gut darin, authentisch zu unserer Cycling Community zu sprechen. Natürlich wollen wir diese Leute nicht verprellen, gleichzeitig aber auch zugänglicher werden. Das heißt: Weniger französischer Fachjargon, eine einfachere Sprache. Um mehr Menschen an den Radsport heranzuführen, planen wir auch Coachings und werden Lehrmaterial bereitstellen. Dazu wird in den nächsten Wochen ein Buch von uns veröffentlicht: ‚Getting started in Road Cycling‘. Ein Sammelsurium mit jeder Menge Tipps.
Im August 2017 haben Sie einen Großteil der Marke verkauft. Warum?
Bis dato hatten wir 15 private Investoren, die zwischen 10 000 und 30 000 Pfund eingebracht hatten. Ich selbst hielt 20 Prozent der Anteile. Nachdem Rapha eine bestimmte Größe erreicht hat, brauchen wir mehr Finanzkraft, um weitere Schritte zu tun. Die Waltons sind Radsportler. Sie glauben an die Mission und haben langfristige Interessen. Wir können jetzt die richtigen Entscheidungen treffen.
Und die treffen immer noch Sie, oder?
Ja, die Inhaber halten sich zurück. Sie unterstützen uns, bleiben aber im Hintergrund.
Wo sehen Sie das Unternehmen in fünf Jahren?
Rapha könnte bis dahin ein 200-bis-250-Millionen-Pfund-Business werden. Wir wollen die Nische erweitern. Und ich persönlich möchte, dass Cycling der populärste Sport der Welt wird.
Sportswear International
Ausgabe 285, Juni 2018