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In voller Blüte

Travel

Schier endlos ist unsere Fahrt auf schnurgeraden Straßen durch die geröllwüstenähnliche Landschaft des iranischen Hochlands. Die einzige Abwechslung bieten die überdimensionierten Kreisverkehre, deren Radius so enorm ist, dass unser Fahrer kaum das Lenkrad einschlagen muss und die Laster in der gegenüberliegenden Kurve wie Spielzeug erscheinen. Die wenigen Menschen, die wir zu Gesicht bekommen, sind bis an die Zähne bewaffnet – Soldaten bei einer Militärkontrolle. Wir sind auf dem Weg ins Lalehzar-Tal, eine Hochebene im Südosten des Iran. Bis nach Teheran sind es 1000 km, bis zur afghanischen Grenze 400 km.

Durch dieses Gebiet verläuft eine der wichtigsten Drogenrouten, auf der Opium über Teheran nach Istanbul gelangt – und von dort aus weiter in alle Welt. Doch das, was uns in diese gottverlassene Gegend führt, fällt nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Es betört zwar die Sinne, vernebelt sie aber nicht. Die Rede ist von biologisch-dynamisch angebauten Rosen, deren Öl als eines der reinsten weltweit gehandelt wird – und die jetzt, zur jährlichen Ernte im Mai, in voller Blüte stehen.

In den 70er-Jahren erbt Homayoun Sanati, Gründer der Zarah Rosewater Company, rund ein Fünftel des Lalehzar-Tals. Damals leben die ansässigen Bauern vom Weizen- und Kartoffelanbau – aber auch vom lukrativen Geschäft mit dem Schlafmohn, dessen morphinhaltiger Milchsaft das Rohopium liefert. Sanati – der Name bedeutet übersetzt so viel wie „Industrie“ – entstammt einer einflussreichen Familie, die sich bereits seit Generationen um den wirtschaftlichen Aufbau des Iran verdient gemacht hat. Das Beispiel seiner Vorfahren vor Augen, blickt er auf das ihm vermachte Land und zieht Bilanz. Die fällt verheerend aus wegen des illegalen Mohnanbaus, denn die damit verbundenen Rivalitäten fordern immer wieder Opfer unter den Bauern. Doch Sanati bemerkt noch etwas anderes – dass nämlich das, was hier auf 3000 Meter Höhe wächst, viel aromatischer riecht und schmeckt als alles, was er aus seiner Heimatstadt, dem rund 1300 Meter tiefer gelegenen Kerman, kennt. Blumen und Kräuter duften in der dünnen Gebirgsluft um die Wette, und so beschließt Sanati, ein Experiment zu wagen. Er kauft einhundert Rosenpflänzchen und beginnt, sie auf seinem Land zu kultivieren. Bald erweist sich die Damaszener Rose, eine sehr widerstandsfähige Züchtung, als besonders geeignet. Sie verträgt die große Trockenheit, die im Lalehzar-Tal bisweilen herrscht, hervorragend. Mehr noch: Je weniger Wasser sie bekommt, desto stärker wird ihr Duft und desto reiner das Öl, das sich aus ihren Blütenblättern gewinnen lässt. Ein Glücksgriff, doch die Freude darüber währt nicht lange. Die instabile politische Lage im Iran der späten 70er-Jahre wird auch Homayoun Sanatis Schicksal prägen. Zu Schah-Zeiten hat er in Kooperation mit einem US-Verleger das größte Verlagshaus des Landes geführt – und amerikanische Literatur und Kinderbücher ins Persische übersetzen lassen. Obwohl er noch vor Beginn der Revolution infolge eines Geldstreits mit seinen amerikanischen Partnern bricht, unterstellt man ihm nun, ein Agent der CIA zu sein. Das Urteil lautet auf fünf Jahre Gefängnis, von denen Sanati drei in Isolationshaft verbringen muss.

 

Sanati bemerkt, dass das, was hier auf 3000 Meter Höhe wächst, viel aromatischer riecht und schmeckt als alles, was er sonst kennt.

 

Zu Hause im Lalehzar-Tal verweigern die Bauern unterdessen Sanatis Frau das ohnehin knappe Wasser – eine vermeintliche Katastrophe. Doch wie durch ein Wunder überstehen die Rosen ihres Mannes die gesamten fünf Jahre seiner Haft unbeschadet. Die Bauern sind beeindruckt von der Widerstandskraft der Pflanze, und als Sanati ins Tal zurückkehrt, haben bereits einige seiner Nachbarn Rosenfelder angelegt und lassen sich überzeugen, der Zarah Rosewater Company zuzuarbeiten. Zwar bringen die Rosen nicht die gleichen Erträge wie Schlafmohn, dafür benötigen sie aber auch nur ein Fünftel des Wassers. Zudem steht auf den Anbau der Opium-Pflanze im neuen Mullah- Regime unter Ayatollah Khomeini die Todesstrafe.

Das Vertrauen in die Rose als Alternative wächst, als die Bauern mit der Zeit feststellen, welche Preise die Abnehmer für das von ihnen produzierte Öl zu zahlen bereit sind. Da Wasser auf 3000 Meter Höhe bereits bei 90 Grad kocht, bleiben beim Destillieren der Blütenblätter wichtige Inhaltsstoffe erhalten. Es entsteht ein hochwertiger Rohstoff, der auf dem Weltmarkt Kilopreise zwischen 5000 und 6000 Euro erzielt – lediglich das Öl aus Bulgarien und Indien wird noch höher vergütet. Fünf Tonnen Rosenblätter liefern nach der Destillation ein Kilo Rosenöl, wobei das sogenannte erste Öl weniger wertvoll ist als das zweite, das beim Destillieren des Rosenwassers, eines Nebenprodukts der Erstdestillation, entsteht. Dieses zweite Öl ist alkohollöslich – in der Kosmetikindustrie eine begehrte Eigenschaft. Heute arbeiten über fünfhundert Bauern der Zarah Rosewater Company zu. Der Anbau erstreckt sich über eine Fläche von 1500 Hektar und überzieht das Tal jeden Frühsommer mit einem rosaroten, duftenden Teppich. Die größten Abnehmer sind französische und deutsche Biokosmetikfirmen, darunter auch Annemarie Börlind und Wala, der Produzent der Dr.-Hauschka-Serie. Rosenöl ist nämlich nicht nur in Rosenölprodukten zu finden, die als solche deklariert sind. Als Zusatzstoff verbirgt es sich auch in einer Vielzahl anderer Kosmetika. Zur alljährlichen Ernte, bei der bis zu 50 Tonnen Rosenblätter täglich eingefahren werden, reisen die Abgesandten der Kosmetikfirmen – eine Gruppe von Produktionsüberwachern und Qualitätsprüfern – aus dem fernen Europa an und kontrollieren die Reinheit der Ingredienz, wobei im Zuge der technologischen Weiterentwicklung der Prüfinstrumente die Analysen immer genauer werden. Zum Teil gelten für Biokosmetika sogar strengere Auflagen als in der Nahrungsmittelindustrie – ein Umstand, der selbst die Prüfer bisweilen absurd anmutet: Schon der Nachweis der geringsten Menge einer Verunreinigung disqualifiziert das Produkt, von Pestiziden ganz zu schweigen. Die Einhaltung der Vorschriften gilt bei Zarah Rosewater als selbstverständlich, man arbeitet schließlich seit Jahrzehnten mit den strengen Europäern zusammen. Inzwischen bestreitet die Company fünf Prozent der weltweiten Produktion von hochwertigem organischem Rosenöl.

Doch noch einmal zurück zu dem Mann, mit dem alles begann: Homayoun Sanati ist nicht nur Unternehmer, er ist auch Idealist. Einige Kilometer von den Rosenfeldern der Kooperative entfernt gründet er mit fachlicher Unterstützung der deutschen und französischen Qualitätskontrolleure eine biologisch- dynamische Kommune – ein Rudolf-Steiner-Traum inmitten von wildem Mullahland. Die Menschen in dieser Gemeinschaft bewirtschaften ihre Felder nicht nur ohne Pflanzenschutzmittel, sie produzieren auch ihren eigenen Humus und richten sich bei ihrer Tierhaltung nach anthroposophischen Regeln. Ein Projekt, das, wie vieles andere im Iran, so gar nicht zu der Vorstellung passen will, die man sich im fernen Europa gerne von dem muslimischen Staat macht – trotz oder gerade wegen der jüngsten Reformbewegung und deren gewaltsamer Niederschlagung. Im Jahr 2009 stirbt Sanati 85-jährig. Zwar ist er kinderlos geblieben, doch sein Erbe lebt weiter. Nicht nur mit der Zarah Rosewater Company – bis zu seinem Tod hat der Unternehmer sein Engagement zudem in ein Schulprojekt gesteckt. Entgegen der üblichen iranischen Praxis lernen Jungen und Mädchen hier gemeinsam – ein Vorstoß, der bei der herrschenden Regierung nicht gerne gesehen, aber stillschweigend geduldet wird. Daneben hat der stets umtriebige und hellwache Sanati einen Kindergarten für autistische Kinder ins Leben gerufen. Und darüber hinaus insgesamt vier Waisenhäuser weitergeführt, deren Gründung noch auf seinen Großvater zurückgeht. Dort werden elternlose Jugendliche nach anthroposophischen Gesichtspunkten unterrichtet – Musik, Kunst und Literatur stehen auf dem Stundenplan. Eine Investition in die kommende Generation, die ebenso wichtig erscheint wie der Kampf gegen den Schlafmohn. Denn noch immer gibt es im Iran viele Waisen – eine Folge der Revolution, der militärischen Konflikte mit den Nachbarstaaten, aber auch des Drogenkriegs. Glücklich diejenigen, die in einem der Waisenhäuser der Sanati-Stiftung einen Platz finden, an dem sie aufwachsen können. Sie alle tragen, wenn sie das Haus verlassen, den Nachnamen ihres Mentors. Und so wird dessen humanistische Idee, so bleibt zu hoffen, eines Tages aufgehen wie seine erste Rosensaat.

 

The Weekender
Ausgabe 5
2012