Chiringuitos heißen die strohgedeckten sechs- oder achteckigen Bambushüttchen der Karibik, an denen kurvige Bikinigirls farbenfrohe Cocktails schlürfen. Nach ihrem Vorbild und unter gleicher Bezeichnung wurden auch die Buden etabliert, die am Stadtstrand von Barcelona alle paar Hundert Meter zu einem San Miguel oder einem Cava verführen. So auch das Pez Vela, das im Schatten des von Ricardo Bofill kühn hingeschwungenen, einem geblähten Segel nachempfundenen Hotels W Barcelona kauert. Dass dieses kleine Etablissement als Chiringuito firmiert, grenzt allerdings an Tiefstapelei, aber in Barcelonas Gastroszene gilt: Understatement rules! Im Glauben, an einer schnöden Strandbude verabredet zu sein, und in Erwartung der üblichen frittierten Ringe aus weißem Fischgummi findet man sich plötzlich vor der hübschen Terrasse dieser Luxusbude wieder, deren Essensausgabe zwar an eine Kantine erinnert. Doch was hier (zügig!) durchgeschoben wird, ist fantastisch. Spezialisiert hat sich die Küche auf das frühere Arme-Leute-Essen Paella. Das mag in teutonischen Ohren nach Ballermann und daher wenig sexy klingen, aber was im Pez Vela in der großen flachen Pfanne landet, ist sterneverdächtig. Übertroffen wird die Spezialität der Bude nur noch von den Muscheln, die in einer fruchtig-scharfen Chili-Tomaten-Soße baden. Den Versuch, sich diese zu teilen, kann man sich gleich von der Backe putzen. Er ist selbst im Stadium größter Verliebtheit zum Scheitern verurteilt. Weil solche Köstlichkeiten unmöglich im Stehen gegessen werden dürfen, gibt es ein paar Tische drinnen und einige draußen, und ja, ich gebe zu: Auch die Einrichtung ist unterm Strich nicht ganz Chiringuito-like. Rosa Maria Esteva, die neben dem Pez Vela gleich mehrere der schönsten Restaurants ganz Spaniens ihr Eigen nennt, hat einmal mehr Tochter Sandra Tarruella mit der Gestaltung des Interieurs betraut. Den Ausblick auf das Meer, die Barceloneta und die dahinter liegende Stadt gibt’s obendrauf. Das Pez Vela ist also eine echte Strandbuden-Offenbarung, der sowohl eingefleischte Imbissfans als auch Fischgourmets und Ästheten erliegen. Hier noch eine kleine Eselsbrücke, um beim nächsten Barcelona-Strandbesuch direkt die richtige Lokation anzusteuern: Pez Vela heißt wörtlich übersetzt Segelfisch – eine Anspielung auf das Segel des W Barcelona. Und das ist ja so prägnant, dass keine Gefahr besteht, das Pez Vela zu verfehlen – oder gar in einem der seriell errichteten Einheits-Chiringuitos zu landen und sich mit geschmacksneutralen 1b-Meeresfrüchten zu begnügen.
The Weekender
Ausgabe 19
2015