Von der West Coast in die Welt: San Francisco gilt als die Wiege der Five-Pocket, dem bis dato immer noch wichtigsten Fashion- Statement der letzten rund 140 Jahre.
Der Legende nach sollen der deutschstämmige Levi Strauss und der Schneider Jacob Davis die ersten Nieten in die von ihnen produzierten, robusten Goldgräberhosen geklopft haben, um sie so noch widerstandsfähiger zu machen. Dass sie dabei auch aus modischer Sicht ein Produkt für die Ewigkeit kreieren und zugleich das vestimentäre Symbol der Jugend par excellence erschaffen würden, hatte sich das experimentierfreudige Duo vermutlich nicht träumen lassen.
Anderthalb Jahrhunderte später: Die Zeiten haben sich geändert, aber eines ist geblieben: Goldgräberstimmung in der wohl entspanntesten Metropole Amerikas, die sich nicht zuletzt einer ausgeprägten ‚Yes, we can!‘-Attitüde verdankt. Lässig ist der Lifestyle, man gibt sich flexibel, offen und unkompliziert. Die Menschen in San Francisco genießen ihr Leben und das, was die Stadt ihnen bietet. Picknicks im Park, Sport an der frischen Luft, gutes, gesundes Essen und exzellenten Wein, Beach-Life und Big Surf, ein reges Nachtleben.
Man ahnt es schon: High Fashion und angestrengtes Styling sind nicht angesagt in Nordkalifornien. Wer wollte schon in High Heels die steilen Hügel aufund abstöckeln oder im Lingerie-Look von einem der allgegenwärtigen Temperaturstürze überrascht werden? Tatsächlich ist ein nicht geringer Teil der Einwohner San Franciscos in Running-Gear unterwegs. Ob wirklich alle sportsüchtig sind oder nur gerne den Anschein erwecken, sei einmal dahingestellt.
Trotz des eher pragmatischen Kleidungsstils: Langweilig ist das Straßenbild mitnichten. Als Eldorado der schwul-lesbischen Szene beherbergt San Francisco ein buntes, ja bisweilen schrilles Publikum. Dazu kommen Hippie-Vibe und Festivalstimmung in den Parks – am besten zu beobachten im Mission Dolores Park an einem sonnigen Wochenende – und die D.I.Y.-Bewegung, die hier weit lebendiger ist als in Europa: Selbstbewusst und ungehemmt, dem Perfektionismus die kalte Schulter zeigend, werkelt das junge San Francisco vor sich hin – mit erfrischendem Ergebnis. Verglichen mit London oder Paris erinnert die Atmosphäre in der Stadt an eine Waldorfschule, so glücklich, frei und zuversichtlich geradeaus wirken junge Designer hier. Aber, wie gesagt, es gibt auch Tradition: Nicht nur weil Levi’s, die Mutter aller Denimbrands, hier ihr Headquarter hat. Die ganze Stadt atmet Denim, und die Dichte an hochkarätigen Denim-Shops ist dementsprechend hoch.
Größte Inspiration und einen besten Einblick in das modische wie kulinarische Geschehen bietet ein Bummel über die Valencia Street im Stadtteil Mission. Hier reiht sich all das aneinander, was San Francisco so begehrenswert macht: kleine hübsche Boutiquen, Health-Food-Restaurants, Vintage- Möbelläden, Kaffee-Institutionen, Kuriositätenshops. Und dank der Länge der immer beliebter werdenden Flaniermeile ist noch genug Raum für Neues. Ebenfalls im Werden begriffen: der Stadtteil Outer Sunset, wo momentan die spannendsten Retail- und Gastro-Neuzugänge zu bewundern sind. Etwas etablierter, aber nicht minder lohnenswert: North Beach, das italienische Viertel am Fuße des Telegraph Hill, Hayes Valley, ein Traum für Shopaholics, sowie die Fillmore Street in Pacific Heights.
Wir haben die einschlägigen Viertel für Sie durchstreift, die coolsten Leute interviewt und die besten Street Styles festgehalten – wie gewohnt in Wort und Bild.
Ausgewählte Texte aus dem City Guide
Dem Frust zu entfliehen, den ihr Designjob bei GAP mit sich brachte, war der erste Impuls für Leah Bershad, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Ein weiterer Anreiz bestand darin, endlich ihre seit früher Kindheit ausgeprägte Vorliebe für Reliquien – oder besser für alles Kultische, Skurrile und Schräge – ausleben zu können. Dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Modeshopper in San Francisco diese Vorlieben teilt, wurde ihr erst bewusst, als die von ihr ausgewählten Schmuckstücke zu Verkaufsschlagern avancierten. Neben ausgefallenen Ringen, Ketten und Armreifen, ergänzt um einige Dekoartikel, führt Leah, die an der renommierten New Yorker Parsons School Modedesign studiert hat, auch textile Schätzchen. Die eine Hälfte kauft sie neu, unter anderem bei Marken wie Levi’s Vintage, Raleigh Denim, Ace & Jig und S.N.S. Herning. Die andere findet sie auf Flohmärkten und in Vintage-Shops auf ihren zahlreichen langen Reisen. Dabei bewegt sie sich gerne abseits der ausgetretenen Pfade. Nicht Paris, London, New York stehen auf ihrem Reiseplan, sondern Afrika, Indien und Asien. Dass der Shop mit den graublau getünchten Wänden ein wunderbar stimmiges Bild abgibt und manche der Arrangements so gekonnt in Szene gesetzt sind, dass sie gar museal anmuten, ist ebenfalls auf Leahs guten Geschmack zurückzuführen. Das gesamte Interior Design bei Reliquary, bis ins kleinste Detail, stammt aus ihrer Feder.
Nimmt man den ‚M Train‘ in Richtung Outer Sunset, jenem Stadtteil, der im Norden an den Golden Gate Park angrenzt und im Westen am Ocean Beach endet, macht man eine kuriose Entdeckung: Trotz famoser Lage und entsprechender Lebensqualität reihen sich hier keine Villen aneinander. Vielmehr versprüht Outer Sunset den Charme des gewachsenen Arbeiterviertels. Der Grund? Der berüchtigte Nebel ist ein häufiger Gast, und so sind die Preise hier noch immer moderat. Ideal für eine kleine, alternative Community und ihre unkonventionellen Geschäftsideen. Wie die der Jungs von Mollusk, dem coolsten Surfshop der Stadt. John McCambridge und Johann St. Cloid erkannten als Erste das wirtschaftliche Potenzial der Area und begannen 2005, hier ihre Bretter, Shorts und Shirts zu verkaufen. Patagonia, Norse Projects, A.P.C. und ihr eigenes Label Mollusk bestimmen das Portfolio, das durch Windbreaker, Bikinis, Sweats, Hoodies und Wetsuits abgerundet wird. Und weil die Jungs interdisziplinär unterwegs sind, sind auch Surffilme und einschlägige Bücher im Angebot. Die auffälligsten Einrichtungsgegenstände stammen übrigens von Jay Nelson, jenem Ladenbau-Lokalmatador, der auch für die Verschönerung des neuen Voyager-Shops auf der Valencia Street verantwortlich ist.
Der verschlafene Stadtteil Outer Sunset, die Heimat des General Stores, trägt die Züge eines kleinen, intimen Urlaubsstädtchens. Von der Ladentür bis zum Pazifischen Ozean sind es nur wenige hundert Meter die Straße hinunter. Hier in der Nachbarschaft fühlt sich die Surf-Community zu Hause und hier fehlte der Künstlerin Serena Mitnik-Miller und ihrem Mann, dem Architekten, Skater und Wellenreiter Mason St. Peter zufolge ein Gemischtwarenladen, sprich: ein ‚General Store’. Doch natürlich dachten die Fashionistas an Mischwaren der besonderen Art: an Mode nämlich nebst Vintage-Styles, Keramik, Büchern, Magazinen, Letterpress-Karten und Lederaccessoires. All dies sammelt Serena auf ihren Reisen durch die Vereinigten Staaten, Mexiko, Australien und Neuseeland. Besonders bemerkenswert: Die hölzerne Schleuse mit Halfpipe-Anmutung im Verkaufsraum und das Sukkulenten-Gewächshaus im Hof des Stores. Beides stammt von Mason, der es sich nicht nehmen ließ, sein Quäntchen zu dem Erfolgskonzept beizutragen – das übrigens schon Schule machte: Seit einem Jahr befindet sich ein Ableger des General Stores in Venice Beach, Los Angeles.
Wenn diese Wände sprechen könnten! Das Fairmont Hotel, hoch oben auf dem Nob Hill gelegen, ist eine Institution und die wohl geschichtsträchtigste Luxusbleibe der Stadt. 1907 eröffnet, beherbergte das Haus in den letzten knapp 107 Jahren Royals und Rockstars, Politiker und Prominente, Schauspieler und Superreiche. Angefangen bei den US-Präsidenten (inklusive John F. Kennedy, der sich hier pikanterweise heimlich mit Marilyn Monroe getroffen haben soll) über die Stones, Al Pacino und Elton John bis hin zu Jean Paul Gaultier – sie alle haben schon die opulent dekorierte Lobby durchschritten, welche heute, nach einer Renovierung, wieder im Urzustand von 1907 erstrahlt. 1960 wurde der Turm – ein Anbau mit 24 Etagen – eröffnet, dessen nach Norden ausgerichtete Zimmer einen fantastischen Blick über die gesamte Bay Area bieten. Insgesamt umfasst das Haus 591 Zimmer und Suiten, einige große, mit handbemalten Fresken und Kristallleuchtern üppig ausstaffierte Veranstaltungssäle (in denen – um es nur mal nebenbei zu erwähnen – die Supremes, James Brown, Nat King Cole und Ella Fitzgerald aufgetreten sind), einen Spa, verschiedene Geschäfte, ein Café im europäischen Stil und zwei Restaurants. Womit wir bei einem weiteren Highlight des Hauses wären: Neben dem an die Lobby angrenzenden ‚Laurel Court’, in dem auch das Frühstück serviert wird, genießt der legendäre ‚Tonga Room’ mitsamt der ‚Hurricane Bar’ Kultstatus. Die 1945 eröffnete Kombination aus hawaiianischer Tiki-Bar und panpazifisch-asiatischem Restaurant lockt nicht nur wegen des exotischen Essens viele Gäste an. Zu jeder vollen Stunde bricht hier ein simulierter tropischer Wirbelsturm mit Blitz, Donner und Starkregen los. Ein stimmungsvolles Erlebnis, das man am besten mit einem der leckeren Mai Tais bewaffnet von der Bar aus genießt.
Wären wir ein paar Wochen früher dran gewesen, wir wären Zeugen einer Zusammenarbeit geworden, wie sie wohl nur San Francisco hervorbringen kann: Warum in die Ferne schweifen, dachte man sich bei Levi’s Made & Crafted offenbar und heuerte für die Herbst/Winter-2013-Kampagne ein stadtbekanntes Duo an: Jonn Herschend und Will Rogan von THE THING Quarterly.
Was dann geschah? Das Übliche. Herschend und Rogan ließen ihre Kontakte spielen und betrauten schließlich knapp 20 Künstler damit, sich kreativ mit dem Thema der Levi’s-Kollektion ‚Good Things Take Time‘ zu befassen. Das Ergebnis: ‚Moment to Moment‘ – eine Palette unterschiedlichster Kunstwerke, die neben Magazin-Seiten unter anderem auch öffentliche Billboards zierten. Erst in San Francisco, später in New York, Los Angeles, Tokio und sogar London. Und das, ohne durch den Levi’s-Schriftzug oder ähnlich Signalhaftes die letztendliche Intentionalität des Ganzen zu enthüllen. Wer Näheres erfahren wollte, musste dafür auf die Website goodthingstaketime.com gehen.
Eine ungewöhnliche Werbeaktion, die – so vielbeachtet sie auch gewesen sein mag – als ‚Special Side THING Project‘ nur einen Nebenschauplatz im Kosmos von Herschend und Rogan und ihrem THE THING Quarterly darstellt. Denn im Regelfall – der, wie der Name verrät, viermal jährlich eintritt – ist das DING noch einen Tick mehr Underground. Wobei: Kann man wirklich von Underground sprechen, wenn bereits Persönlichkeiten wie Schriftsteller Jonathan Lethem, Schauspieler und Multitalent James Franco oder Künstler David Shrigley Teil des Projekts waren? Wohl eher nicht. (Dass Shrigleys ‚THE THING Quarterly‘-Ausgabe vom zurückliegenden Sommer nicht vergriffen ist, oder es zumindest bei Redaktionsschluss noch nicht war, man mag es kaum glauben.)
Von was wir hier eigentlich reden? Nun, „text and objects“, aber darüber sollen Jonn Herschend und Will Rogan selbst erzählen. Ein kurzes Gespräch zwischen Pappkartons im Übergangsquartier von THE THING Quarterly in Mission – das, die frohe Kunde hat uns kürzlich erreicht, mittlerweile zugunsten des neuen Zuhauses in Tenderloin aufgegeben werden konnte.
Hallo Jonn, hallo Will. Könnt ihr euer Projekt bitte kurz beschreiben?
Will Rogan: THE THING Quarterly ist – wie der Name sagt – ein Objekt, ein Gegenstand. Dabei handelt es sich jedes Mal um die Kreation eines anderen Künstlers, die wir dann in Serie produzieren und für den Künstler in Umlauf bringen. Die Idee lautet: Objekt trifft Text, oder auch: Publikation statt Edition. Dahinter steht einerseits der Wunsch, Kunst einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, anderseits der Versuch, den Magazin-Begriff zu erweitern. Du unterschreibst bei uns ein Abo und bekommst für 240 US-Dollar vier ‚THE THING Quarterly‘-Ausgaben im Jahr.
Jonn Herschend: Für das Konzept maßgeblich ist die Verknüpfung von ungegenständlicher Sprache und materiellem Kunstobjekt. Denn beides hat uns schon immer interessiert. Das siehst du an unseren Biografien: Will hat im San Francisco Art Institute als Bibliothekar gearbeitet, ich als Englisch-Lehrer. Kennengelernt haben wir uns aber beim Kunststudium an der University of California in Berkeley. Was uns sicher auch beeinflusst hat, ist die große Print-Tradition in San Francisco mit Publikationen wie dem ‚Rolling Stone‘, dem ‚Spin‘-Magazine oder dem ‚Artforum‘.
Sprache trifft Kunst – Könnt ihr ein Beispiel nennen?
JH: Ich nehme mal die Ausgabe, mit der wir 2009 gestartet sind. Sie wurde von der Performance-Künstlerin, Filmemacherin und Autorin Miranda July gestaltet. Das Objekt war ein Rollo, bestehend aus zwei Lagen, beide mit unterschiedlichen Texten bedruckt. Das Ding ging ab wie eine Rakete: Einen Monat später hatten wir 1.200 Abonnenten. Es war schon fast beängstigend.
Tretet ihr an die Künstler heran, oder ist es umgekehrt? Nach welchen Kriterien trefft ihre eure Auswahl?
WR: In der Regel fragen wir bei den Künstlern an und hatten bisher meist Glück: Von unseren Wunschkandidaten kamen fast immer Zusagen. Wonach wir entscheiden, wen wir fragen? Da gibt es verschiedene Kriterien. Wichtig ist, wie gesagt, dass der Künstler ein Objekt kreiert, das Sprache miteinbezieht – auf welche Art auch immer. Schön ist außerdem, wenn es einen gewissen Gebrauchswert besitzt, wenn man den Gegenstand benutzen kann, wie eben das Rollo von Miranda July. Worauf achten wir weiter? Dass die vier Künstler, die einen Abo-Zyklus ausmachen, zueinander passen – und das möglichst, ohne der gleichen Disziplin zuzugehören. Sonst wird es langweilig, und eine unserer Motivationen bestand und besteht darin, uns auch selbst überraschen zu lassen.
JH: Klar ist: Es muss nicht zwingend der ganz große Name sein. Wobei: In vielen Fällen verbirgt sich hinter einem großen Namen natürlich auch ein großes Werk …
WR: … und durch uns werden diese großen Namen dann auch für eine Klientel erreichbar, die sonst außen vor bliebe.
Gibt es Künstler, mit denen ihr unbedingt noch arbeiten möchtet?
JH: Der Musiker Stephen Malkmus, der Filmemacher Wes Anderson. Genial ist auch, dass wir den Konzept- und Medienkünstler John Baldessari für die nächste Summer Issue gewinnen konnten.
Warum die Zusammenarbeit mit Levi’s Made & Crafted?
JH: Wir hatten schon lange den Wunsch, es wie Dan Graham in den 60ern zu machen und bezahlte Anzeigenseiten in Magazinen beziehungsweise in unserem Fall auch angemietete Werbeflächen in ihrer Funktion zu verfremden und kommentarlos mit Kunst zu bespielen. Als Levi’s zu uns kam, bot sich die Gelegenheit.
Seid ihr eigentlich auch selbst künstlerisch tätig?
JH: Ja, ich mache hauptsächlich Installationen und Filme. Erst vor ein paar Wochen war ich mit einer Arbeit an den ‚Live Projects‘ des SFMOMA (San Francisco Museum of Modern Art/d. Red.) beteiligt.
WR: Ich fotografiere und mache Skulpturen. Egal, wohin THE THING Quarterly uns noch führen wird: Selber Kunst machen, das wird immer bleiben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Authentisch, true, original. Alles hundertmal gehört, gerade im Denimbusiness. Umso wohltuender, zur Abwechslung mal wen aus der Branche zu treffen, der die längst zu bloßen Schlagwörtern geronnenen Begriffe mit Leben zu füllen vermag. Gemeint sind Tony Patella und Pete Searson – zusammen Tellason.
Nimmt man von San Francisco aus die Fähre an Alcatraz vorbei, landet man schließlich in Sausalito, einem Städtchen mit vielleicht 8.000 Einwohnern direkt an der Bucht, das eher wie ein Ferienort als wie ein ernst zu nehmender ‚Unternehmensstandort‘ anmutet. Hier haben sich die Gründer von Tellason in ein Industrieloft eingemietet. Ihre Nachbarn: Künstler, Designer, andere Kreative. Am Anfang ihrer Karriere als Labelchefs stand ein einziger Fit. „We have a longterm mentality“, meint Tony. Und Pete: „We’re just doing things that make sense to us.” Dass die beiden Hunde, die um uns herumtollen, nicht bekräftigend bellen, ist alles.
Pete, Tony, ein ganzes Business auf einem einzigen Denim-Fit zu gründen – wie kommt man auf eine solche Idee?
Tony Patella: Ich kenne Pete schon seit etwa 1990. Wir sind beide viele Jahre in der Bekleidungsbranche, ungefähr ein Vierteljahrhundert. Ich habe unter anderem bei mehreren Denimbrands mitgemischt, Pete arbeitete als Handelsvertreter. Da lag es nahe, das geballte Know-how in die Waagschale zu werfen – und 100 Tage später hielten wir unseren Prototyp in der Hand. One fit, one fabric, dieser Philosophie sind wir erst mal zwei Jahre treu geblieben.
Pete Searson: Der Zeitpunkt war günstig für unser Vorhaben. 2008 nach der Bankenkrise lag die Wirtschaft am Boden. Was auch bedeutete: Die Leute waren gezwungen, aufs Portemonnaie zu achten und sich genau zu überlegen, wofür sie ihr Geld ausgeben wollten. Und im Zweifelsfall war das dann eben nicht das x-te Fashionteil mit einem Verfallsdatum von vorgestern. Das wussten auch die Retailer.
TP: Wir haben unsere Jeans fünf ausgewählten Stores in Nordkalifornien präsentiert und verkauften auf Anhieb an die 120 Paar. Und dann hat es sich herumgesprochen.
Was genau?
PS: Dass wir ein Produkt anbieten, das sich nicht nur im Hinblick auf Fit, Style und Details durch Zeitlosigkeit auszeichnet, sondern auch insofern als es aus einem qualitativ absolut hochwertigen und deshalb äußerst langlebigen Material gefertigt ist. Raw Selvage Denim, gewebt in den Cone Denim White Oak Mills in Greensboro, North Carolina. Das ist die Weberei, die gute 100 Jahre lang für Levi’s produziert hat.
TP: Die Maschinen, die sie dort benutzen, datieren auf die 20er, 30er, 40er Jahre – Webstühle vom Typ American Draper X3, die aus Leder, Stahl und Holz bestehen. Der Fabrikboden ist ebenfalls aus Holz, so dass beim Weben allein schon durch die Vibrationen kleine Unregelmäßigkeiten entstehen. Klar, Denim könnten wir auch anderswo beziehen – aber schwerlich in einer derartigen Qualität und mit einer derartigen Geschichte.
Das Prädikat ‚Made in USA‘ könnt ihr euch aber nicht nur anheften, weil der Denim aus North Carolina kommt – eure Hosen werden in San Francisco gefertigt.
TP: Ja, das ist richtig. Wir kennen die Leute, die für uns produzieren, persönlich. In Zeiten, in denen es nur noch wenige gibt, die ihre Produktion nicht aus Profitabilitätsgründen ins Ausland verlagert haben, möchten wir ein Zeichen setzen. In den 50ern wurden in den USA 95 Prozent der Kleidungsstücke, die auf den Markt kamen, im Land gefertigt. Heute sind es nicht einmal mehr fünf Prozent. San Francisco ist die Wiege der Blue Jeans. Dieses Erbe verdient es, bewahrt zu werden – schon allein der Leute wegen, die in der Branche beschäftigt sind. Mit Blick auf ihr wirtschaftliches Schicksal – und mit Blick auf ihre Expertise, die nicht verloren gehen darf.
Noch einmal zurück zu eurem One-Fit-Businessstart. Wie kam es, dass ihr euer Angebot dann doch erweitert habt – auf mittlerweile vier Fits für Männer und immerhin einen für Frauen?
TP: Eigentlich haben wir jedes Mal auf einen konkreten Bedarf reagiert, auf ein positives oder negatives Feedback. So ist unser Straight Leg Fit beispielsweise das Resultat einer Kooperation mit Michael Williams, dem Macher des bei uns sehr populären Menswear-Blogs ‚A Continuous Lean‘. Michael passte unser Slim Fit einfach nicht so gut. Also mussten wir noch mal ran. Das, was wir machen, ist nicht unbedingt revolutionär, aber immer fokussiert.
PS: Ein großer Vorteil für unsere Kunden besteht darin, dass wir saisonunabhängig arbeiten. Das bedeutet für sie: Wenn sie nachordern möchten: kein Problem. Wir können das Gewünschte schnell liefern – in der richtigen Größe und in exakt dem Material, das sie kennen. Das ist heute längst nicht mehr selbstverständlich.
TP: Wir machen Quality Classics – und das entspricht absolut dem Zeitgeist. Das zeigt auch der Erfolg von Brands wie Red Wing oder Filson. Ich mochte diese Less-is-more-Philosophie schon immer, besonders als jemand, der die aufgeblasenen Silicon- Valley-Jahre hier miterlebt hat. Mein Lieblingsoutfit unterscheidet sich so gut wie nicht von dem meines Dads in den 50s: schwarzes T-Shirt, Red Wing Boots, Raw-Denim-Jeans. PS: Denim ist doch das beste Beispiel für ein Produkt, dem es gut tut zu altern und das damit einfach das perfekte Outfit für jeden Tag ist. Wir bieten übrigens auch selbst einen Repair-Service an. Echte Kundenpflege kommt heutzutage viel zu kurz.
Apropos, wie viele Kunden habt ihr aktuell?
TP: In den USA um die 50 Retail-Stores, in Italien etwa 25, im deutschsprachigen Raum und Benelux insgesamt circa 70, in Japan über 100. Japan ist tatsächlich unser größter Markt. Die Japaner wissen das amerikanische Denim-Erbe einfach zu schätzen, vor allem wenn es nicht nur behauptet, sondern gelebt wird.
Gibt es Pläne für die anstehenden Saisons?
TP: Ja, wir werden endlich das Sweatshirt lancieren, an dem wir so lange gebastelt haben. Außerdem möchten wir einige unserer Hemden- und auch Hosenmodelle zusätzlich zum bisherigen Angebot in Stoffen aus einer kleinen Weberei im Nordosten Italiens fertigen lassen. Der Plan ist, zur Bread & Butter und dem Pitti Uomo im Januar etwas vorzeigen zu können.
Wir sind gespannt! Vielen Dank für das Gespräch.
J’N’C Magazine
Ausgabe 04/2013