Streetwearlabels und High-Fashion-Brands ziehen im Kampf um neue Kundschaft immer öfter an einem Strang. Ihre Waffen: das Befeuern der Logomanie und ein gegenseitiger Hype, der mit unzähligen Kooperationen gefüttert wird. Im Moment feiert das ungleiche Paar große Erfolge. Doch die Modewelt ist launisch. Wie lange geht das gut?
Die Welt von Dapper Dan ist aus den Angeln gehoben. 26 Jahre ist es her, dass der Schneider seinen Laden an der 125. Straße im New Yorker Stadtteil Harlem schließen musste. Verklagt von Gucci, Fendi und Louis Vuitton. Dapper Dan, mit bürgerlichem Namen Daniel Day, hatte in den 1980ern Stoffe mit den Logoprints der großen europäischen Luxusmodehäuser aufgetrieben und sie zu plakativen Fashionstyles verarbeitet. Marc Tyson, Salt-n-Pepa, LL Cool J und Big Daddy Kane, sie liebten seine lauten, extravaganten Looks. Dass alles Fake war, spielte keine Rolle. „Ich habe es geschafft! Ich bin reich!“, riefen Dans Entwürfe schon von Weitem, quer über die Straße. Sich herausgewunden zu haben aus der Armut – nichts galt in den New Yorker Ghettos dieser Tage mehr.
Und jetzt das: Im allgemeinen Hype um die Streetfashionlooks der späten 80er und frühen 90er hat Gucci-Mastermind Alessandro Michele den legendären Schneider rehabilitiert und ihm in diesem Herbst eine Capsule-Kollektion gewidmet. „Dapper Dan“ prangt jetzt in großen Lettern auf den ikonischen All-Over-Prints. Ein Szenario, das Daniel Day sich wohl in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt hätte.
Paradox? Bei genauer Betrachtung ist dieser Schachzug Guccis lediglich die Antwort auf den Zeitgeist. Und kein Einzelfall: James Jebbia, der Gründer des New Yorker Skatelabels Supreme, dessen Karriere in den frühen 90ern begann, hat eine ähnliche Geschichte zu erzählen. 2000 erlaubte er sich – beeinflusst von den Dapper-Dan-Styles –, ein Skatedeck mit einem Louis-Vuitton-Logoprint zu verschönern. Die Unterlassungsklage aus Frankreich ließ nur zwei Wochen auf sich warten. Im November letzten Jahres jedoch hat man bei LVMH seine Meinung revidiert. Dank der gemeinsamen Kollaboration – der ersten in der 160-jährigen Firmengeschichte, die mit einem Konkurrenten zustande kam – prangt das Supreme-Logo nun auf Koffern und Rucksäcken, Hemden und Jacken des Pariser Luxushauses. Mit durchschlagendem Erfolg: Eines der limitierten Sweatshirts, das im realen Beschaffungskampf für 600 Euro zu haben war, konnte im Wiederverkauf das bis zu Achtfache wert sein. Da verwundert es kaum noch, dass vor einem Jahr der Washingtoner Finanzinvestor Carlyle Group 50 Prozent der Anteile von Supreme gekauft hat. Für sagenhafte 500 Millionen US-Dollar.
Die Annäherung von Streetwear und High Fashion ist ein Modephänomen, das momentan recht wilde Blüten treibt. Und scheinbar in den Himmel wächst. Die Collab von Supreme mit dem piekfeinen Pariser Luxuslabel dürfte nur ein vorläufiger Höhepunkt sein. Vermutlich hat man bei dem Skatelabel, das es bereits auf stolze 150 Kooperationen gebracht hat, schon einen neuen Gespielen im Visier. Vielleicht einmal bei Céline anklopfen? Oder bei Herrn Lagerfeld? Der zeigt ja inzwischen auch Trackpants in seiner Kollektion, obwohl er sie zuvor noch verteufelte.
Von Subkultur geprägte Straßenlooks auf den Laufsteg zu bringen ist in der Mode nichts Neues. Designer wie Raf Simons und Hedi Slimane verpassten Dior mit Punk- und Wavezitaten eine Frischzellenkur, Louis Vuitton profitierte von der Streetwear-Expertise eines Marc Jacobs und Kim Jones. Doch der Hype um Streetfashion hat nun den Turbo gezündet. Kaum ein Haute-Couture-Haus, das kein Techtelmechtel mit einem Sportbrand oder sogenannten Undergroundlabel hat, den traditionell wichtigsten Akteuren der ‚Mode von der Straße‘. Und die Liebe scheint gegenseitig: Für die High Fashion ist die rotznäsige Devil-may-care-Haltung der Streetfashion attraktiv. Sie bekommt Einlass in den Club der Coolness und kann neue Zielgruppen erschließen. Das Szenario, mit einer zwar zahlungskräftigen, aber vergreisenden Kundschaft zu versauern, scheint vorerst abgewendet. Zumal dank des 90er Revivals Hoodies, Baggy-Pants und Sneaker längst durchweg salonfähig sind. Die Streetwear fühlt sich im Gegenzug ernst genommen. Sie wird über den Qualitätsanspruch des Kooperationspartners geadelt und kann höhere Preise rechtfertigen. Mit einem Mal öffnen sich die Türen zu den besten Stores der Welt.
Augenscheinlich eine Win-win-Liaison. Beiden Partnern sind Glaubwürdigkeit und Imagepflege wichtig, beide lieben Statussymbole und schlagen auch gerne mal über die Stränge. Besiegelt wird die jeweilige Verbindung durch den Doppelnamen. Wenn sowohl LV als auch Supreme auf dem T-Shirt steht ist klar: Dieses Stück ist exklusiv u n d hip. Doch wird die Liebe von Dauer sein? Wird der Austausch nicht irgendwann austauschbar?
Bei dem Versuch, sich die Glaubwürdigkeit zu bewahren, lohnt der Blick zurück. Zurück in die Geschichte der Hip-Hop-Community und Skate- und Surf-Gemeinde, wo der gegenseitige Support seit Langem zum Lebensgefühl gehört. 1986 rappten Run DMC im Madison Square Garden vor 40 000 Fans eine Hymne auf ihre geliebten Adidas-Sneakers – die Geburtsstunde der ersten legendären Coop der Hip-Hopper mit dem Sportartikler aus Herzogenaurach. Kangol-Fischerhut, Cazal-Brille, Lee-Jeans, ein Sweater von Polo Ralph Lauren, dazu fetter Goldschmuck – und ein Paar Adidas Superstar mit gestärkten und breit gebügelten Laces. Fertig war der Mid-80s-Look. Auch wenn man kein Auto und schon gar keine schicke Wohnung vorzuweisen hatte: ‚fresh‘ und ‚crispy‘, sprich hip gekleidet zu sein, war insbesondere in den schwarzen Neighbourhoods ein sichtbarer Ausdruck von Selbstrespekt und Ehrgeiz. In Brooklyn, der Bronx, in Queens und Harlem wurden unterschiedliche Dresscodes eingehalten und ein Insider konnte bereits am Outfit erkennen, wo sein Gegenüber zu Hause war.
Neben Musikern gehörten auch Sportler zu den frühen Influencern jener Tage. Der damals noch unbedeutende Sportschuhhersteller Nike entwickelte 1984 für den NBA-Neuling Michael Jordan einen Basketballstiefel. ‚Air‘ Jordan wurde zum Weltstar – und mit seinen Dunks stiegen die Umsätze bei Nike in unerreichte Höhen.
Gilt New York als die Wiege des Hip Hop, entwickelten sich an der Westküste Surfing und Skating – also das auf festen Boden verlegte Surfen – zur Jugendbewegung. Dort waren die Looks von Stüssy angesagt, einem Surflabel aus Laguna Beach, das in den frühen 1980ern von Shawn Stüssy gegründet worden war. Mit der Eröffnung einer Stüssy-Boutique im New Yorker Stadtteil SoHo Anfang der 1990er vermischten sich East-Coast- und West-Coast-Attitüde. Mittendrin der junge James Jebbia, der in dem Laden seine ersten Brötchen verdiente. Als Jebbia 1994 ein Ladenlokal auf der benachbarten Lafayette Street fand, machte er sich selbstständig. Der Supreme Store entwickelte sich zum Treffpunkt, die Marke zum lokalen Kult.
Doch das Label wuchs nur langsam. Das große Geld machten zunächst andere: Cross Colours, Karl Kani, Ecko, Wu Wear, Phat Farm, Fubu – die Liste der Marken, die nicht selten dem Inner Circle der Hip-Hop-Gemeinde selbst entstammten und Mitte der Neunziger den riesigen Bedarf der zum Mainstream gewordenen Hip-Hop-Bewegung deckten, ist lang. Yo! MTV Raps, seit 1988 ausgestrahlt und größter Impulsgeber der Szene, beschleunigte die Verbreitung neuer Tracks und Styles in bis dato nicht denkbarem Tempo.
Doch die Goldgräberstimmung währte nur wenige Jahre. Gegen Ende der 1990er war der Markt übersättigt. Und die Protagonisten der Rap-Szene, inzwischen internationale Stars, besannen sich wieder auf prestigeträchtige europäische Namen. Marken, die den Erfolg und Wohlstand einer Elite repräsentieren und mit Jugendkulturen allgemein und Hip Hop im Besonderen von Hause aus nicht viel am Hut haben.
Das gilt auch für Louis Vuitton, den letztjährigen Gespielen von Supreme, womit wir zurück im Hier und Jetzt und wieder beim Marketingtool der Stunde wären: Kein Fashionbrand scheint zu traditionsreich, als dass Supreme nicht koopwillig mit ihm anbandeln würde, kein Produkt zu abwegig, um von den New Yorkern für cool erklärt zu werden. Aschenbecher, Klappspaten, Dominosteine, Hämmer, Werkzeugkisten, Fressnäpfe, Brechstangen, Motorräder und Boxsäcke – allesamt natürlich in begehrenswerten Limited Editions – trugen bereits das Supreme-Label. Dagegen wirken die Kollegen der jüngeren High-Fashion-Linie Vetements, die sich ähnlich kollaborationsfreudig zeigen, geradezu pragmatisch. Das von dem Georgier Demna Gvasalia ins Leben gerufene Label zapft eher die spezifische Expertise seiner Partner an, darunter Carhartt, Reebok, Umbro und Champion, um das gemeinsame Kind dann mit dem High-Fashion-Zeugnis auf den Laufsteg zu schicken. Auch dieses Modell scheint sich für beide Seiten zu rechnen.
Sporty Looks zu hohen Preisen – eine Fashionformel, die sich auch Virgil Abloh zu eigen gemacht hat. Der studierte Architekt kommt aus dem Dunstkreis des geschäftstüchtigen Kanye West und gründete 2013 sein Label Off-White. Er erklärte seine Streetwear kurzerhand zu High Fashion und hatte das Glück und die Marketingkompetenz, damit durchzukommen. Die Models auf seiner Womenswear-Show Herbst/Winter 2016 in Paris sahen aus wie Millionärstöchter, die mit ihrem Skaterfreund durchgebrannt sind: Sie trugen Sneaker zu Corsagenkleidern, kombinierten Graphic-Print-T-Shirts zu bodenlangen Plisseeröcken. Begrüßt hatte Abloh sein Publikum mit dem Claim „You’re obviously in the wrong place“ – einem Zitat aus dem Film „Pretty Women“ – und so sein Außenseitertum herausgestellt. Mit seinem Engagement als Designer für Louis Vuitton hat sich sein Status nun verändert. Die Exklusivität der großen Häuser zu unterwandern und den Zugang zur Mode zu demokratisieren, das waren einst Ablohs erklärte Ziele. Durch die fortschreitende Digitalisierung scheint sich beides zunehmend zu erledigen.
Tatsächlich hat die virale Verbreitung von Trends die Modewelt revolutioniert. Im Netz wird zitiert und getaggt, was das Zeug hält, und noch nie wurden neue Styles so schnell dem Mainstream zugeführt wie in Zeiten von Instagram und Pinterest. Nahezu alle gängigen Vermarktungsmodelle funktionieren mit digitaler Technologie. Für Sneakerheads, die gespannt auf den nächsten „Drop“ warten, gibt es Sneaker-Reserving-Apps und Count Down Clocks, die den Zeitpunkt des Launches rechtzeitig ins Gedächtnis rufen. Die Auktionen der Reseller, der Wiederverkäufe limitierter Editionen, wären ohne Ebay und Grailed undenkbar. Der Streetfashion-Hype dieser Tage, er ist ein Kind der Digitalisierung.
Einer, der mit diesem Hype groß geworden ist, ist David Fischer, Gründer des Onlinemagazins Highsnobiety. Von Berlin aus postet er mit seinem Team News über Mode und Popkultur und erreicht damit neun Millionen Unique Visitors pro Monat. Für Fischer, der neben seiner Online-Plattform eine Kreativproduktionsagentur betreibt, einen Podcast und ein halbjährlich erscheinendes Print-Magazin veröffentlicht, scheint das Ende der Fahnenstange noch lange nicht in Sicht. „Alles kann cool sein!“, findet Fischer, der auch im Geschäft der Koops mitmischt. Vor Kurzem arbeitete er an Highsnobiety-gebrandeten Gummibärchen und Spaghetti, parallel soll eine eigene Modekollektion entstehen. „Ich habe das Gefühl, dass das Potenzial für Companies wie die unsere und für Streetwear im Allgemeinen grenzenlos ist“, sagt der Insider.
Er könnte recht haben. Das Beispiel von Supreme zeigt ja: Wenn man glaubt, es geht nicht größer, dann geht es doch. Aber das muss es jetzt auch. Investoren wie die Carlyle Group oder LVMH werden keine Zeit mit Marken verschwenden, die für immer Kult bleiben wollen. Zwar hat man, wie ein Sprecher der Carlyle Group verlauten ließ, „großes Vertrauen in die seit Jahrzehnten etablierte Glaubwürdigkeit“ und sieht offenbar keine Gefahr darin, diese Credibility auf andere Produkte auszuweiten. Dennoch währt ja bekanntlich nichts ewig. Und Sellouts waren noch nie sexy.
Birkenstock erlaubte sich jüngst den Luxus, eine Kooperationsanfrage von Supreme dankend abzulehnen. Er halte das für Prostitution, sagte CEO Oliver Reichert unumwunden dem New York Magazine. Und der Designer Raf Simons erklärte in einem Interview mit i-D gar die Streetfashion kurzerhand für tot. Aber immer noch steht Aussage gegen Aussage. Laut Emma Hope Allwood, Fashion Features Editor beim Dazed Magazine, sind im Moment die LV-Monogramm-Taschen mit den aufgedruckten Supreme-Logos deshalb so cool, weil sie den Fälschungen der asiatischen Straßenmärkte ähneln. Fake-Bootleg? Also die gefälschte Fälschung zum Originalpreis? Zugegeben, das klingt absurd, aber ist dieser Look nicht auch wieder ganz im Sinne des guten alten Dapper Dan? Und der ist ja gerade erst richtig im Kommen.
BOA Ausgabe 1
November 2018